Der Bundesfinanzhof (BFH) hat ein Urteil veröffentlicht, das er eigentlich schon Mitte März gefällt hat. Nun hat das Gericht es samt Begründung auf seiner Internetseite publik gemacht: Demnach haben ausländische Fonds, die in deutsche Unternehmen investieren, über Jahre ungerechtfertigt Kapitalertragsteuern gezahlt. Diese sollen die Fonds und damit auch ihre Anleger nun zurückerhalten – plus Zinsen. Das Urteil dürfte Millionen von Anlegern in Deutschland betreffen und Rückforderungen in Milliardenhöhe auslösen.
Der Hintergrund
Der Bundesfinanzhof räumt in seinem Urteil mit einer Ungleichbehandlung auf: Fonds mit Auflegungsstandort außerhalb Deutschlands mussten über Jahre Kapitalertragsteuern auf Dividenden zahlen, die ihnen deutsche Unternehmen ausschütteten – während inländische Fonds, also Fonds mit dem Anfangskürzel DE in der ISIN, davon befreit waren. Diese Praxis verstößt gegen EU-Recht, beschied das Gericht. Geklagt hatten die Betreiber eines in Frankreich ansässigen Investmentfonds. Beim Durchfechten der Musterklage waren Steuerexperten der Wirtschaftsprüfgesellschaft KPMG involviert.
Mit seinem Urteil vom 13. März 2024 hob der BFH nun ein Urteil des Hessischen Finanzgerichts aus dem Jahr 2019 auf, das die Klage zunächst abgewiesen hatte.
Im Fokus des Rechtsstreits stehen Kapitalertragsteuern auf deutsche Dividenden, die ausländische Fonds von 2004 bis 2017 gezahlt haben: 2004 trat das Investmentsteuergesetz in Kraft, ab 2018 führte die Investmentsteuerreform neue Regeln ein. Seitdem werden sowohl inländische als auch ausländische Fonds einheitlich mit Ertragsteuern belastet. In der Zwischenphase jedoch herrschte das beschriebene Ungleichgewicht.
Beim Bundesfinanzministerium (BMF) und Bundesrechnungshof war man sich der drohenden milliardenschweren Rückzahlungsforderungen schon lange bewusst. Laut einem Bericht des Bundesrechnungshofs an den Bundestags-Finanzausschuss aus dem Jahr 2016 hatten Stimmen im BMF bereits 2012 vor „erheblichen europarechtlichen und fiskalischen Risiken“ gewarnt, die sich aus der steuerlichen Ungleichbehandlung der Dividendeneinkünfte in- und ausländischer Investmentfonds ergeben würden. Diese potenziell teure Unwucht zu beheben wurde damals jedoch zunächst vertagt.
Steuerrückzahlungen in Milliardenhöhe erwartet
Mindestens vier Milliarden Euro Steuerrückzahlungen könnten nun auf den deutschen Fiskus zukommen, zu entrichten an diverse im Ausland ansässige Aktien- und Mischfonds, wie die „Wirtschaftswoche“ eine Einschätzung des Bundesrechnungshofs zitiert. Anderweitig ist aus dem Markt sogar die Zahl von 5,6 Milliarden Euro zu hören. In jedem Fall kommen auch noch Zinsen hinzu – die gemeinhin mit 6 Prozent pro Jahr veranschlagt werden. Der BFH hat den Fall an das Hessische Finanzgericht zurückverwiesen, das klären soll, welche Erstattungen den betroffenen Fonds zustehen.
Um sich zu viel gezahlte Steuern erstatten zu lassen, müssen Endanleger allerdings nicht selbst aktiv werden. Der Ball liegt zunächst bei den Fondsgesellschaften. Diese müssen die Erstattungsanträge stellen – beziehungsweise mussten sie stellen, denn es gilt eine Frist von vier Jahren nach Ablauf des Jahres der Dividendenzahlung. Für die Jahre 2004 bis 2017 liegt diese Frist in jedem Fall in der Vergangenheit.
Steuererstattung mit potenziellem Effekt auf die Anteilspreise
Auf eine besonders hohe Entschädigung dürfen sich nun Fonds freuen, die zwischen 2004 und 2017 zu einem hohen Anteil in deutsche Unternehmen investiert hatten. In der Zeit mussten sie 25 Prozent Kapitalertragsteuer („Abgeltungsteuer“) auf deutsche Dividenden zahlen. Unter Umständen waren es auch nur 15 Prozent, denn einen Anteil könnten die Fonds bereits gemäß Doppelbesteuerungsabkommen zurückerhalten haben.
Aber ob nun 25 oder 15 Prozent zu viel gezahlte Steuer: In jedem Fall dürfte eine beeindruckende Summe zusammenkommen. Die Rückzahlungen könnten die Anteilspreise einzelner Fonds in der Größenordnung von mehreren Hundert Basispunkten in die Höhe treiben, ist als Einschätzung aus der Branche zu hören.
In den kommenden Monaten muss nun das Hessische Finanzgericht die Ansprüche im Detail klären. Wann genau sich die zu erstattenden Kapitalertragsteuern samt Zinsen auf die Anteilspreise betroffener Fonds auswirken werden, ist noch unklar.