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Reformprozess in Gefahr Was Brasiliens Krise für die Anleihemärkte bedeutet

Sailesh Lad, Anleihen-Experte Schwellenländer bei AXA Investment Managers

Brasilien steckt in einer schweren Regierungskrise. Bilder von Straßenschlachten in der Hauptstadt Brasília wie vom 24. Mai haben die Aufmerksamkeit auf das südamerikanische Schwergewicht gelenkt. Doch die jüngste Auswechslung des Justizministers hat daran erinnert, dass die eigentliche Gefahr für Präsident Michel Temer nicht von der Straße droht, sondern von der Justiz.

Zwei Vorwürfe stehen im Raum. Erstens: Der Präsident könnte persönlich in den sogenannten „Car-Wash“-Skandal um den staatlichen Ölkonzern Petrobras verwickelt sein. Zweitens: Die Wahl im Jahr 2014, durch die Temer zunächst als Vizepräsident der mittlerweile des Amtes enthobenen Dilma Rousseff in Regierungsverantwortung gekommen ist, könnte im Fall von Wahlbetrug annuliert werden. Jeder dieser Vorwürfe ist geeignet, dem brasilianischen Präsidenten politisch das Genick zu brechen.

Kurzfristig sind politische Beben selten eine gute Nachricht für die Märkte. Im Falle Brasiliens sollten Anleger jedoch besonders aufmerksam sein. Das Ende einer unpopulären und krisengeschüttelten Regierung kann sich als Befreiungsschlag für Wirtschaft und Märkte entpuppen. Dieses Mal allerdings könnte es anders ein.

Denn mit dem Namen Michel Temer verbindet sich die Hoffnung auf eine dringend notwendige Reformagenda, die eben dieser Befreiungsschlag für Brasilien sein sollte. Nach der Amtsenthebung von Dilma Rousseff war Temer angetreten, um die verheerende Lage der brasilianischen Staatsfinanzen anzugehen und das Vertrauen wieder herzustellen – mit positiven Folgen an den Märkten.

Erfolg der Reformagenda ist eingepreist

Derzeit werden brasilianische Staatsanleihen im Einklang mit anderen Papieren aus dem BB-Segment gehandelt. Brasilianische Bonds haben sich gut entwickelt und den JPMorgan Emerging Market Bond Index (EMBIG) in den vergangenen zwölf Monaten um 3,5 Prozent übertroffen (Quelle: JP Morgan, Stand: 18. Mai 2017).

Hintergrund dieser Entwicklung war allerdings die Erwartung, dass die politischen Maßnahmen greifen und das Wachstum anzieht. Im Kern der Bemühungen steht dabei die extrem unpopuläre Reform der sozialen Sicherungssysteme. Daher war das Risiko politischer Unruhen stets eingepreist – die Gefahr einer neuen Krise, durch die die Reformagenda insgesamt verschleppt werden könnte, allerdings nicht.

Sollten sich die jüngsten Korruptionsvorwürfe gegen Temer nun erhärten, ist genau damit zu rechnen. Bereits seit längerer Zeit sieht sich Temer Vorwürfen ausgesetzt, dass er persönlich in den Skandal um Veruntreuungen bei Petrobras verwickelt sein könnte. Nun berichtet die führende brasilianische Zeitung O Globo, dass Temer der Zahlung von Schweigegeld an einen Zeugen zugestimmt hat. Damit ist ein Amtsenthebungsverfahren eine reale Möglichkeit geworden.

Der juristische Prozess dürfte sich zwar als langwierig erweisen. Denn die bloße Duldung von Korruption könnte nicht ausreichen, und es dürfte weitaus schwerer werden, Temer nachzuweisen, dass er selbst direkte Zahlungen erhalten hat. Allerdings könnte das Verfahren Temers Kräfte binden, die ihm dann fehlen, um im Senat für die Zustimmung seiner Reformen zu kämpfen.

Sollte Temer tatsächlich abgelöst werden – und dafür gibt es mit der anstehenden Entscheidung des Wahlgerichtshofs am 6. Juni und dem weiter steigenden öffentlichen Druck mehr als nur ein Szenario – ist auch von seinen möglichen Nachfolgern kein übermäßiger Reformwille zu erwarten. Denn 2018 stehen die nächsten Wahlen ins Haus und welche politische Partei würde sich im Vorfeld damit unbeliebt machen wollen, die extrem unpopulären Reformen weiter voranzutreiben?

Die Ratings dürften unter Druck geraten

Bis in Brasilien Klarheit herrscht, müssen Investoren mindestens mit erhöhter Volatilität bei Anlagen wie Staats- und Unternehmensanleihen rechnen. Gelingt Michel Temer kein Befreiungsschlag, müssen sich die Anleger also mit dem Szenario verschleppter Reformen anfreunden.

Brasiliens Staatsverschuldung liegt bei 71 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und steigt weiter. Die politische Lage dürfte die ökonomische Stimmung drücken und die Erholung der brasilianischen Wirtschaft gefährden.

Durch eine Schwächung der Landeswährung Real könnte dann auch die Inflation ansteigen und geldpolitische Lockerungsmaßnahmen durch die Zentralbank erschweren. Der Wandel der politischen Agenda, das schwache Wachstum und das Versagen bei der Begrenzung der Staatsausgaben dürften die Ratingagenturen Fitch und S&P in ihrem negativen Ausblick bestärken.

Für Anleger, die in Unternehmensanleihen investieren, muss die aktuelle Entwicklung allerdings nicht negativ sein. Denn zunächst einmal dürften sich die Spreads im Einklang mit den Bewegungen der Kurve bei Staatsanleihen ausweiten. Und dann kommt es auf die Auswahl der Unternehmen an.

Für Firmen, die sich auf den Export konzentrieren, ist eine Schwächung der brasilianischen Währung eine gute Nachricht. Bei diesen Unternehmen könnte es sich also durchaus lohnen, die Risiken des brasilianischen Marktes auszuhalten, um von einer besseren fundamentalen Entwicklung zu profitieren.

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