Ende November vergangenen Jahres empfahl die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV), im Jahr 2025 den Höchstrechnungszins für Neuverträge in der Lebensversicherung von derzeit 0,25 Prozent auf 1 Prozent anzuheben. Das wäre der erste Zinsanstieg seit 30 Jahren. Nun folgt das Bundesfinanzministerium (BMF) dieser Empfehlung: Am gestrigen Montag kündigte das BMF die Erhöhung des Höchstrechnungszinses zum Jahr 2025 an.
Um ihren Leistungsversprechen nachkommen zu können, müssen Versicherer Rückstellungen in ihrer Bilanz bilden. Der Höchstrechnungszins ist eine Obergrenze für den maximal zulässigen Rechnungszins, den Lebensversicherer bei der Berechnung dieser Rückstellungen nutzen dürfen. Er wird manchmal fälschlicherweise mit dem Garantiezins verwechselt. Allerdings handelt es sich bei einem Garantiezins um die Mindestverzinsung eines konkreten Lebensversicherungsprodukts.
Der Höchstrechnungszins begrenzt also den Garantiezins, den Versicherer über die gesamte Laufzeit eines Lebensversicherungsvertrages garantieren dürfen. Die darüberhinausgehende Verzinsung wird jedes Jahr in Form einer Überschussbeteiligung festgelegt. Häufig sind Garantiezins und Höchstrechnungszins gleich hoch. Der Garantiezins eines Produkts kann aber auch unter dem Höchstrechnungszins liegen.
„Sicherheitsabschlag einkalkuliert“
Dass das BMF der DAV-Empfehlung gefolgt ist, sei „eine gute Entscheidung“, kommentiert der DAV-Vorsitzende Maximilian Happacher. Gerade der gestiegene Inflationsdruck habe das Zinsniveau nachhaltig verändert. Der DAV-Chef geht derzeit davon aus, dass auch die Renditen langfristiger Staatsanleihen über dem EZB-Inflationsziel von 2 Prozent verbleiben werden. „Ein nach wie vor mit Sicherheitsabschlag kalkulierter Höchstrechnungszins von einem Prozent ergibt daher Sinn“, so Happacher.
„Es spricht sehr viel dafür, dass wir die Phase extremer Niedrig- und Negativzinsen auch mittelfristig überwunden haben“, meint auch Joachim Kaeß, Versicherungsmathematiker bei der Rating-Agentur Morgen & Morgen. Auch er begrüßt die Anhebung des Höchstrechnungszinses auf ein Prozent. Dieser Zins liege deutlich unter dem EZB-Inflationsziel von 2 Prozent und auch spürbar unter dem aktuellen Referenzzins für die Berechnung der Zinszusatzreserve von 1,57 Prozent, so Kaeß.
„Der neue Höchstrechnungszins berücksichtigt die Risiken aus der vergangenen Niedrigzinsphase. Er gibt Versicherern aber auch die Möglichkeit, die Kunden nicht nur durch höhere Gesamtverzinsungen, sondern auch durch höhere Garantiezinsen von der Zinswende profitieren zu lassen“, fasst der Mathematiker zusammen.
GDV erwartet sinkende Prämien in der Risikolebens- und BU-Versicherung
„Die Anhebung des Höchstrechnungszinses ist eine angemessene Reaktion auf das seit 2021 stark gestiegene Zinsniveau“, sagt auch der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen. Ab dem vierten Quartal 2021 bewegte sich der maßgebliche Swap-Satz (Null-Kupon-Euro-Swap für 10 Jahre Laufzeit) abrupt von nahe 0 Prozent auf circa 3 Prozent Ende 2022. Seitdem schwankt er auf hohem Niveau. Ende März 2024 betrug er 2,57 Prozent, so dass der Abstand zwischen aktuellem Höchstrechnungszins und Swap-Satz deutlich mehr als zwei Prozentpunkte beträgt. „Dies bietet ausreichend Sicherheit für eine moderate Anhebung“, so Asmussen.
Wenn sie bei ihren Rückstellungen einen höheren Reservierungszins berücksichtigen dürfen, könnten Versicherer ihren Kunden höhere Garantien bieten, so der GDV-Hauptgeschäftsführer weiter. Auch die garantierten Rentenleistungen könnten steigen. Zusätzlich wirken sich steigende Rechnungszinsen laut Asmussen positiv auf die Prämien von Risikolebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen aus.
In der Niedrigzinsphase wurden viele Produkte mit Garantiezinsen unterhalb des Höchstrechnungszinses angeboten. „Ziel war hier einerseits, die Finanzierbarkeit der Garantien des gesamten Bestands sicherzustellen, andererseits Freiheiten für Investitionen in renditestärkere, risikoreichere Anlagen im Sicherungsvermögen zu schaffen“, erklärt Versicherungsmathematiker Kaeß. Er geht nun davon aus, dass ein Höchstrechnungszins von einem Prozent auch als Garantiezins auf breite Akzeptanz stoßen wird.
Forderung nach Abschaffung der 100-Prozent-Garantie bleibt
Das Problem mit der 100-Prozent-Garantie in der staatlich geförderten Altersvorsorge löst indes nach Asmussens Auffassung auch ein höherer Höchstrechnungszins nicht. „Unabhängig davon sollte die Mindestbeitragsgarantie in der geförderten Altersvorsorge abgesenkt werden, damit mehr Gelder in renditeträchtigere Anlagen investiert werden können“, wiederholt der GDV-Chef die langjährige Forderung der Versicherungsbranche.
Der neue Höchstrechnungszins soll bis Mitte des Jahres in der Deckungsrückstellungsverordnung verkündet werden und ab dem 1. Januar 2025 greifen.