Myra Capital Überbewertung der türkischen Lira

Gökhan Kula, Gründer und Geschäftsführer von Myra Capital

Gökhan Kula, Gründer und Geschäftsführer von Myra Capital

Der türkische Kapitalmarkt in Rekordstimmung

Am türkischen Kapitalmarkt herrscht weiterhin Rekordstimmung - und es scheint, als ob es weiterhin nur eine Richtung gibt: steil nach oben. Diesen Schluss lässt auch der in den ersten Handelswochen des Jahres sehr starke türkische Aktienmarkt zu, der mittlerweile bereits mit einem Plus von 7,6 Prozent notiert. Und dies nach einem Jahr 2012, das der türkische Aktienmarkt mit einem herausragenden Plus von 64,3 Prozent als einer der stärksten Aktienmärkte weltweit abschließen konnte.

Getrieben durch die starke Nachfrage nach Anlagen mit höherer Rendite konnten auch Anleiheemissionen des türkischen Staates bzw. auch anderer Emittenten auf Basis der türkischen Lira eine hohe Nachfrage erfahren – vor allem unterstützt durch die weiterhin glänzende makroökonomische Situation der Türkei. Durch diese vom Renditehunger getriebenen Portfolioinvestitionen  und ausländische Direktinvestitionen konnte das Leistungsbilanzdefizit der Türkei problemlos finanziert werden.

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Diese hohen Zuflüsse und die stetige Nachfrage nach türkischen Anleihen hat dazu geführt, dass sich die Türkei mittlerweile zu einem Zinssatz von unter 6 Prozent in TRY refinanzieren kann und somit auch den Zinshaushalt deutlich entlastet. Positiv wirkte in diesem Zusammenhang auch die Anfang November 2012 durch die Ratingagentur Fitch erfolgte Heraufstufung der Türkei in den Investment Grade-Bereich. Den positiven Trend bestätigten in den letzten Wochen zudem anhaltende Erwartungen, dass auch eine der beiden „großen“ Ratingagenturen Moody’s bzw. Standard and Poors nachziehen könnten.   

Studien deuten auf eine Überbewertung der türkischen Lira

In dieser Nachrichtenlage hat fast zeitgleich mit der Höherstufung von Fitch im November des vergangenen Jahres eine aktuelle Studie des Peterson Institute for International Economics für Aufsehen gesorgt . In dieser Studie kommt das Institut zum Schluss, dass die türkische Lira im internationalen Vergleich eine stark überbewertete Währung ist. Demnach müsste die türkische Lira um mehr als 20 Prozent abwerten, um ein faires Bewertungsniveau zu erreichen.

Dies wurde durch den Vergleich des aktuellen Währungskurses zu einem berechneten fairen Gleichgewichts-Wechselkurs unter Berücksichtigung fundamentaler Daten errechnet. Vor allem spielt dabei das große Handels- und Leistungsbilanzdefizit den wesentlichen Treiber dieser doch überraschend eindeutigen Einschätzung des Instituts bzw. des Studienautors.  

Auch der Internationalen Währungsfonds  geht in einer aktuellen Studie von einer Überbewertung der türkischen Lira aus, nicht jedoch in dem Ausmaß, wie es das Peterson Institute ermittelt hat. Um  einen fairen Wechselkurs zu erreichen, müsste sich laut dieser Studie das türkische Handelsbilanzdefizit auf ca. -4 Prozent des BIP reduzieren (aktuell ca. -6,5 Prozent des Brutto Inland Produktes).  

Neubewertung der türkischen Lira durch erfolgreiche Soft-Landing?

Doch wie ist die Währungssituation der türkischen Lira zu werten, nachdem in den letzten Monaten das erfolgreiche „soft-landing“ der türkischen Wirtschaft zu einer deutlichen Verbesserung der Leistungs- und Handelsbilanz geführt hat – zu Lasten natürlich der Wirtschaftsaktivität und der geringeren Nachfrage der privaten Haushalte?

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Die im Jahresverlauf 2012 zu beobachtende Verbesserung des Handelsbilanzdefizites ist auf folgender Darstellung abgetragen, die von Morgan Stanley Research erstellt wurde. In dieser Analyse wird auch das Handelsbilanzdefizit der Türkei ohne Berücksichtigung von Energieimporten dargestellt. Die Türkei ist ein „natürlicher“ Nachfrager von Energieimporten, da das Land nur mit geringfügigen Energieressourcen ausgestattet ist und somit vom externen Bezug abhängig ist.

Diese deutliche Entspannung im Bereich des Handelsbilanzdefizits ist vor allem durch das geringere Wirtschaftswachstum zu begründen, da dadurch auch die Importnachfrage stark zurückgekommen ist. Vergleicht man das BIP–Wachstum der ersten neun Monate im abgelaufenen Jahr (2,6 Prozent) mit den Vorjahreszahlen (2011) der gleichen Periode (9,8 Prozent), so wird die erreichte Abkühlung der türkischen Wirtschaft sehr deutlich. Insbesondere der sich weiter reduzierende inländische Konsum hat zu dieser Wachstumsverlangsamung geführt.   

Positive Nachrichten auch von der Inflationsfront  

Dadurch hat sich nicht nur das Handelsbilanzdefizit zurückgebildet, sondern auch der langjährige „Problembereich“ der türkischen Wirtschaft – die Inflation – ist deutlich gesunken. Ende 2012 hat sich die Jahresveränderungsrate des Konsumentenpreisindex auf 6,2 Prozent (Vormonat 6,3 Prozent) reduziert und somit auf dem tiefsten Stand des Jahres 2012 geschlossen. Die Kerninflation - definiert als Inflation ohne Nahrung, Energie, Tabak und Gold - ist im Dezember mit 5,8 Prozent ermittelt worden.

Sie ist nunmehr seit Mai 2012 im Abwärtstrend und sollte zumindest kurzfristig ihren Boden gefunden haben. Auch wenn die Inflationsrate nach westlichen Standards mit knapp 6 Prozent weiterhin sehr hoch erscheint, ist im längerfristigen Kontext die erfolgreiche Reduktion der türkischen Inflationsrate doch sehr beeindruckend und unterstützend für die Währung.  

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Durch die positive Inflationsentwicklung und die gleichzeitige Verbesserung der Leistungs- und Handelsbilanz hat die türkische Nationalbank den Spielraum genutzt, um im Dezember 2012 den Leitzinssatz auf 5,5 Prozent zu senken. Zielsetzung war zum einen, die sich im Jahresverlauf 2012 abschwächende türkische Wirtschaft zu unterstützen und den Aufwertungsdruck der türkischen Lira, verursacht durch die hohen Kapitalzuflüsse zu dämpfen.  

In ihrem aktuellen Kommentar hat die Notenbank auf die sich bereits wieder verbessernden Wirtschaftsindikatoren (zum Beispiel Verbrauchervertrauen und Kreditwachstum) verwiesen. Damit sollten kurzfristig keine weiteren Zinssenkungen seitens der Notenbank erwartet werden, da die gesetzten geldpolitischen Maßnahmen erst im 2. Quartal 2013 ihre volle Wirkung entfalten dürften.   

Gegenüberstellung von Chancen und Risiken

Die makroökonomischen Zahlen deuten weiterhin auf eine hohe Stabilität der türkischen Wirtschaft. Vergleicht man unterschiedliche Kennzahlen wie zum Beispiel die Verschuldungsquote oder die demographische Struktur, so wird deutlich, dass die Türkei sich auch im internationalen Vergleich nicht verstecken muss.  Die stetig steigenden Auslandsinvestitionen – sowohl Direktinvestments als auch Finanzportfolioinvestitionen – bestätigen die steigende relative Attraktivität der Türkei für Investoren.

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Die in diesem Zusammenhang erwarteten positiven Einschätzungen der Ratingagenturen hin zu einer Höherbewertung der Türkei dürften das positive Sentiment weiter stützen.  Trotzdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich auch bei der Türkei um ein Schwellenland handelt, das unterschiedliche Risiken mit sich trägt. Insbesondere die geopolitischen bzw. auch politischen Risiken müssen entsprechend bewertet bzw. mögliche Verlust- und Volatilitätsphasen einkalkuliert werden.

Folgende Chancen-/Risikotabelle  kann für den türkischen Kapitalmarkt gezeichnet werden, wobei beide Bereiche sich aktuell gut ausgleichen: War beispielsweise der im 2. Halbjahr 2012 im Fokus stehende Syrienkonflikt kein wirkliches Hindernis für den türkischen Kapitalmarkt, so könnten trotzdem zukünftige Turbulenzen neben dem Kapitalmarkt auch die Währung unter Druck setzen.

Durch die weiterhin hohe Abhängigkeit von ausländischem Kapital zur Finanzierung des Wirtschaftswachstums würde sich ein negatives Ereignis relativ schnell und deutlich auswirken – trotz aktueller Kurssteigerungen und positivem Trend ist der türkische Kapitalmarkt keine Einbahnstraße.

Sowohl für türkische Kapitalmarktinvestments als auch für türkische Lira Investitionen empfiehlt sich somit eine flexible Anlagestrategie mit einem funktionierenden Risikomanagement. Die vergangenen Korrekturen an der Aktienbörse bzw. in der türkischen Lira können dabei aufzeigen, in welchem Ausmaß bzw. in welcher Schnelligkeit sich diese entfalten können.

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Fazit


Um die eingangs gestellte Frage in der Überschrift zu beantworten: aus unserer Sicht ist die türkische Lira eine weiterhin attraktive Anlagewährung für diejenigen Investoren, die eine weitere Portfolio-Diversifikation zu klassischen Euro-Anlagen umsetzen wollen – das gleiche Argument gilt auch für andere Schwellenländerwährungen, deren wirtschaftliche Kennzahlen attraktiv sind und eine werthaltige Beimischung darstellen können.

Trotzdem sehen wir die Gefahr, dass die türkische Notenbank zur Stützung der Wettbewerbsfähigkeit eine zu starke türkische Währung nicht tolerieren wird – dies hatte sie auch in ihrem letzten Statement bekanntgegeben. Es scheint also, als ob auch die türkische Notenbank am weltweiten Rennen um eine schwächere Währung teilnehmen möchte bzw. muss.  Anleiheinvestoren müssen achtsam sein, da dem Währungsrisiko im Gegensatz zu Aktieninvestments nur ein begrenztes Aufwärtspotential entgegen steht.

Durch die potentielle Abwertung könnte sich die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verbessern und somit für weitere Gewinne am Aktienmarkt sorgen – natürlich immer nur mit der Maßgabe, dass die Abwertung graduell und kontrolliert erfolgt. Türkische Aktieninvestments dürften folglich in so einem Szenario eine bessere Währungsdiversifikationsmöglichkeit bieten als Anleiheinvestments, zumal der Sachwertcharakter durchaus auch bei einer steigenden Inflation zu Tragen kommen würde.   

Myra Capital wurde im Mai 2012 gegründet. Das inhabergeführte Beratungsunternehmen bietet insbesondere auf institutionelle Kunden abgestimmte Investmentstrategien an.

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