Irrationales Anlegerverhalten, Teil 1 Das Einmaleins der Behavioral Finance

Dr. Christian Kurz verantwortet als Managing Partner und Investmentchef von Strongbox Capital die Anlagestrategie des Zürcher Unternehmens.

Dr. Christian Kurz verantwortet als Managing Partner und Investmentchef von Strongbox Capital die Anlagestrategie des Zürcher Unternehmens. Foto: Strongbox Capital

Die auf Nobelpreisträger Eugene Fama zurückgehende Effizienzmarkthypothese besagt, dass Aktienkurse sämtliche verfügbaren Informationen korrekt widerspiegeln und nur rational handelnde Marktteilnehmer – nach dem Menschenbild des Homo oeconomicus – unmittelbar auf alle verfügbaren Informationen reagieren. Aktives Portfoliomanagement könnte demnach keine Outperformance erzielen.

Formen der Informationseffizienz
Fama unterscheidet drei unterschiedliche Niveaus von Informationseffizienz:

  • Schwache Informationseffizienz
    Die Kurse berücksichtigen alle aus der Vergangenheit bekannten Sachverhalte. Mit der Analyse des historischen Kursverlaufes kann keine Prognose über die zukünftigen Kursentwicklungen getroffen werden. Demnach sollte es nicht möglich sein, durch die Methoden der technischen Wertpapieranalyse eine risikoadjustierte Outperformance zu erzielen.
  • Halbstarke Informationseffizienz
    Die halbstarke Informationseffizienz gilt als bestätigt, sofern neben den historischen Kursinformationen auch alle öffentlich verfügbaren Informationen zum Zeitpunkt der Veröffentlich bereits in den Kursen von heute enthalten sind. Bei den verfügbaren Informationen kann es sich sowohl um unternehmensspezifische als auch um makroökonomische Daten handeln. Demzufolge stiftet die Analyse fundamentaler Information, wie z. B. das Auswerten von Umsatz- oder Gewinnprognosen einer bestimmten Unternehmung, keinen Mehrwert, folglich kann keine risikoadjustierte Outperformance mithilfe der fundamentalen Analyse erzielt werden.
  • Starke Informationseffizienz
    Die starke Informationseffizienz gilt als gegeben, wenn zusätzlich zu den historischen Kursinformationen, also den öffentlich verfügbaren fundamentalen Informationen, auch nicht-öffentliche, sogenannte Insiderinformationen, in den Kursen enthalten sind. Weder die Methoden der technischen und fundamentalen Wertpapieranalyse noch das Wissen von Insiderinformationen können im Ergebnisse dazu beitragen, dass Marktteilnehmer Outperformance erzielen können. Existiert eine starke Informationseffizienz, so erscheint einzig der Einsatz von passiven Anlagestrategien schlüssig und zweckmässig.

In den vergangenen Jahren ist zunehmend Kritik an der etablierten Kapitalmarkttheorie aufgekommen. Im Zentrum der Kritik stehen das Menschenbild des Homo oeconomicus, die Annahme vollständiger Markteffizienz und die daraus abgeleiteten Kapitalmarktmodelle. Diese Annahmen werden zunehmend als realitätsfremd und als nicht mit der Wirklichkeit der Finanzmärkte kompatibel betrachtet.

Zahlreiche empirische Untersuchungen stellen die Gültigkeit der etablierten neoklassischen Sichtweise infrage. Studienergebnisse weisen darauf hin, dass Aktienkurse in gewissen Phasen die aktuell gegebene Informationslage nicht exakt widerspiegeln und im Widerspruch zur Markteffizienz stehen. Die Effekte werden Value-, Quality-, Size-, Volatility-, oder Momentum-Effekt genannt. Auf dieser Grundlage ist der Forschungsansatz der Behavioral Finance entstanden.

Homo oeconomicus

  • Das Menschenbild des Homo oeconomicus, des rational agierenden Marktteilnehmers, steht im Zentrum der neoklassischen Kapitalmarkttheorie und bildet die Grundlage für deren Modelle. Bei dem Konzept handelt es sich um ein vereinfacht skizziertes Bild des Menschen mit dem Ziel, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen erklären und prognostizieren zu können.
  • Charakterisiert ist der Homo oeconomicus als nüchterne, allwissende, streng rational denkende und handelnde Person, die emotionslos agiert und jederzeit bestrebt ist, den eigenen Nutzen (als Konsument) und Gewinn (als Unternehmer und Anleger) zu maximieren. Die getroffenen Handlungen spiegeln stets das Optimum der vorherrschenden Entscheidungsalternativen wider. Unter den zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen wird stets diejenige Alternative ausgewählt, die den grössten individuellen Nutzen stiftet. Ferner verfügt der Homo oeconomicus über alle für die Entscheidung relevanten Informationen, eine unendliche hohe Reaktionszeit sowie eine fehlerfreie Informationswahrnehmung und Informationsverarbeitung.

Das Auftreten systematischer Preisverzerrungen, ausgelöst durch Emotionen, psychologische Faktoren und kognitive Beschränkungen, ist als Zentrum der Finanzmarkttheorie Behavioral Finance anzusehen. Im Vergleich zur neoklassischen Sichtweise geht diese Finanzmarkttheorie davon aus, dass Wertpapierkurse, bedingt durch situativ irrational handelnde Marktteilnehmer, vorhersehbar vom fundamental gerechtfertigten Preisniveau abweichen.

Die Behavioral Finance ist der Ansicht, dass sich Marktteilnehmer lediglich begrenzt rational verhalten und es in der Folge zu systematischen Preisverzerrungen an den Finanzmärkten kommt. Der US-Kapitalmarktforscher Vernon Smith spricht in diesem Zusammenhang von begrenzter Rationalität, sogenannter Bounded Rationality. Die begrenzte Rationalität ist als Ergebnis der im Entscheidungsprozess zur Anwendung kommenden Heuristiken – einfach ausgedrückt sind das Faustregeln – und Verzerrungen zu sehen. Die Anwendung von Heuristiken und Verzerrungen konnte anhand zahlreicher psychologischer Laboruntersuchungen belegt werden.

Diese können zur Fehleinschätzung von Wahrscheinlichkeiten, Information, objektiven Realitäten oder auch der eigenen Fähigkeit führen. Mithilfe der kognitiven Psychologie lässt sich das Auftreten der unterschiedlichen Heuristiken und Verzerrungen erklären und begründen.

Die neoklassische Kapitalmarkttheorie versucht eine perfekte Welt zu beschreiben. Die Behavioral Finance hingegen versucht die in der Realität zu beobachteten Verhaltensmuster der Marktteilnehmer im Fokus und die darauf resultierenden Effekte und Kursentwicklungen an den Finanzmärkten zu beschreiben und erklären.

In einer fünfteiligen Serie wird Dr. Kurz weitere Aspekte der Behavioral Finance erläutern. Im 2. Teil wird es darum gehen, wie personelle Faktoren die Entscheidungsfindung beeinflussen.



Über den Autor:
Dr. Christian Kurz ist Managing Partner und Investmentchef von Strongbox Capital mit Sitz in Zürich und verantwortet die Anlagestrategie. Er promovierte an der Technischen Universität Ilmenau in Finanzwissenschaften und verfügt über zehn Jahre Berufserfahrung im Asset-Management-Umfeld. Des Weiteren ist Kurz als Dozent für die Fächer Portfoliomanagement und Alternative Investments tätig.

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