Anlegerschutz oder ungerechtfertigte Steuerzahlungen? Das bedeutet ein neues Urteil für die Verlustverrechnung von Termingeschäften

Christina Vosseler (l.) und Catarina Herbt von Mazars

Steuerberaterin Christina Vosseler (l.) sowie Rechtsanwältin und Steuerberaterin Catarina Herbst von Mazars erläutern, was bei der Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften zu beachten ist. Foto: Mazars

Termingeschäfte dienen im Wertpapierdepot für die Absicherung bestimmter Investitionen. Dadurch eröffnen sie die Möglichkeit für eine breite Palette von Anlagestrategien, sind aber mit sowohl mit Chancen als auch Risiken verbunden. Seit dem 1. Januar 2021 dürfen Verluste aus Termingeschäften ausschließlich mit Gewinnen aus Termingeschäften und Erträgen aus Stillhaltergeschäften verrechnet werden. Die Verlustverrechnung ist zusätzlich auf 20.000 Euro pro Jahr begrenzt, wobei Verluste, die in einem Veranlagungszeitraum nicht verrechnet werden können, auf Folgejahre übertragen werden.

Der Gesetzgeber hat mit dem Jahressteuergesetz 2020 somit einen neuen, dritten Verlustverrechnungskreis geschaffen – zusätzlich zu den bisher bestehenden Verlustverrechnungskreisen für Verluste aus Kapitalvermögen und aus Aktienveräußerungen. Dies schränkt nicht nur die Verlustberücksichtigung innerhalb der Einkünfte aus Kapitalvermögen ein, sondern führt zu einer weitaus restriktiveren Beschränkung als bisher.

Doppelte Verrechnungsbeschränkung bei Termingeschäften 

Denn im Gegensatz zur ebenfalls kontrovers diskutierten Verrechnung von Aktienverlusten, die nur mit Gewinnen aus Aktienverkäufen verrechnet werden dürfen, liegt bei Termingeschäften eine doppelte Verrechnungsbeschränkung vor. Verluste dürfen weder mit Gewinnen aus anderen Kapitalanlagen noch – und dies anders als bei Aktienverlusten – in unbegrenzter Höhe verrechnet werden. Konkret heißt das, dass Verluste aus Termingeschäften zum einen nur mit Gewinnen aus Termingeschäften saldiert werden.

Zum anderen werden pro Veranlagungszeitraum maximal Verluste von 20.000 Euro berücksichtigt. Sollten höhere Verluste eintreten, dürfen diese zwar auf die Folgejahre vorgetragen werden – die Verrechnung mit Gewinnen ist in jedem folgenden Jahr jedoch wiederum auf 20.000 Euro beschränkt. Das setzt natürlich voraus, dass in den folgenden Jahren überhaupt Gewinne erwirtschaftet werden. Faktisch führt dies ab einer gewissen Größenordnung dazu, dass Verluste nicht mehr ausgeglichen werden können.

 

Begründet wird die Einschränkung mit dem Ziel des Gesetzgebers, das Investitionsvolumen und daraus resultierenden Verlustrisiken für Anleger zu begrenzen. Im Vergleich zu anderen Kapitalanlagen werden Termingeschäfte aufgrund ihrer begrenzten Laufzeit und durch die eintretenden Hebeleffekte, welche sowohl hohe Gewinne als auch Totalverluste mit sich bringen können, als besonders spekulativ eingestuft. Die eingeschränkte Verlustverrechnung soll dazu führen, dass die Wertpapiere für Anleger unattraktiver werden.

Privatanleger werden benachteiligt 

Die Änderung trifft in erster Linie Privatanleger, denn institutionelle Anleger wie Banken und Fondsgesellschaften sind vom Verlustabzugsverbot nicht betroffen. Somit werden private Anleger gegenüber institutionellen deutlich benachteiligt.

Die Gesetzesänderung stößt auf erheblichen Widerstand und lässt verfassungsrechtliche Zweifel aufkommen. Dies entschied auch das Finanzgericht Rheinland-Pfalz am 5. Dezember 2023. Im Urteilsfall erklärte der Kläger in seiner Einkommensteuererklärung 2021 Kapitalerträge aus Termingeschäften in Höhe von 251.000 Euro sowie Verluste aus Termingeschäften in Höhe von  227.000 Euro.

Aufgrund der Verlustverrechnungsbeschränkung wurden im Einkommensteuerbescheid 2021 lediglich Verluste in Höhe von 20.000 Euro berücksichtigt, was zu einem zu versteuernden Überschuss von 231.000 Euro und zu einer Einkommensteuerzahlung in Höhe von 60.000 Euro führte – bei einem Reingewinn von lediglich 23.000 Euro. Der Anleger schuldet demnach fast das Dreifache an Steuern, als was tatsächlich an Gewinn erzielt wurde. Der Steuerpflichtige legte Einspruch ein, um finanzielle Engpässe zu vermeiden. Das Finanzamt hat den Einspruch und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgewiesen. Vor dem Finanzgericht Rheinland-Pfalz erhielt der Anleger jedoch Recht: Das Finanzgericht hat ernsthafte Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung.

Finanzgericht sieht Ungleichbehandlung 

Nach Ansicht des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz führt die beitragsmäßige Verlustverrechnungsbeschränkung zu einer Ungleichbehandlung, für die es keinen sachlichen Grund gibt. Es ist nicht ersichtlich, warum eine sofortige Besteuerung nur für Gewinne gelte und Verluste hierbei nicht vollständig berücksichtigt werden.

Aus dem Grundgesetz leitet sich folgendes ab: Das Leistungsfähigkeitsprinzip und das daraus resultierende objektive Nettoprinzip sowie das Gebot der Folgerichtigkeit stellen sicher, dass die Steuerlast von der individuellen Leistungsfähigkeit eines jeden Steuerpflichtigen abhängt. Bei der Beurteilung müssen nicht nur die Gewinne, sondern auch die damit einhergehenden Aufwendungen und Verluste einbezogen werden.

Die Gesetzesänderung beschränkt jedoch die Berücksichtigung von Verlusten, wohingegen Einnahmen der vollständigen Besteuerung unterliegen. Damit wird die individuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen missachtet und Kapitalerträge nicht folgerichtig besteuert. Werden Gewinne umfassend besteuert, so müssen auch Verluste entsprechend berücksichtigt werden können. 

Das Finanzgericht stimmte zwar zu, dass unterschiedliche Kapitaleinlagen mit verschiedenen Risiken einhergehen, dies reicht jedoch nicht als Rechtfertigung aus, um eine Verlustberücksichtigung derart zu beschränken und eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Kapitalanlagen vorzunehmen, die weitgehend unbeschränkt mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden dürfen.

Darüber hinaus erscheint die Umsetzung widersprüchlich zu dem dargelegten Sinn und Zweck der Gesetzbegründung, dem Anlegerschutz. Durch die Verlustverrechnungsbeschränkung wird beispielsweise ein Verlust von einer Million Euro für den Privatanleger auf ganze 50 Jahre gestreckt. Auch im oben beschriebenen Urteilsfall braucht der Kläger bereits zehn Jahre, um seinen Verlust vollständig zu nutzen unter der Voraussetzung, dass jedes Jahr positive Einkünfte aus Termingeschäften und Stillhalterprämien von mindestens 20.000 Euro erwirtschaftet werden und keine weiteren Verluste hinzukommen.

Bundesfinanzhof ist am Zug

Dies ist völlig wirklichkeitsfremd und erfordert gerade, dass Privatanleger erneut in spekulative Termingeschäfte investieren müssten. Ungeachtet dessen besteht die Gefahr, dass je nach Verlusthöhe und Lebenserwartung Verluste niemals steuerlich anerkannt werden, da diese nicht vererbbar sind und im Todesfall vollständig untergehen. Die Finanzverwaltung hat gegen die Entscheidung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz Beschwerde eingelegt. Nun liegt die Entscheidung beim Bundesfinanzhof.

Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hatte seine Entscheidung auf das beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren zur möglicherweise verfassungswidrigen Benachteiligung aufgrund der Verlustverrechnungsbeschränkungen von Aktienverlusten gestützt. Hier hatte der Bundesfinanzhof bereits Bedenken geäußert, ob eine Verrechnungsbeschränkung bei Verlusten aus Aktienveräußerungen mit dem Grundgesetz vereinbar ist, wenn die Verrechnung von Verlusten aus der Veräußerung von anderen Finanzinstrumenten unbegrenzt möglich ist.

 

Bereits diese Regelung weckt verfassungsrechtliche Bedenken und bedeutet eine Schlechterstellung von Aktienverlusten. Die Begründung des Gesetzgebers, drohende Haushaltsrisiken aufgrund der Minderung von Steuereinnahmen vermeiden zu wollen, reicht nicht als Rechtfertigung aus, um von einer folgerichtigen Verlustausgleichsregelung abzuweichen.

Mit der zusätzlichen Beschränkung für Termingeschäfte verkompliziert der Gesetzgeber die Besteuerung von privaten Kapitaleinnahmen weiter. Dass die Verlustverrechnungsbeschränkung zunächst auf 10.000 Euro per Annum begrenzt und durch das endgültige Jahressteuergesetz 2020 verdoppelt wurde, ändert nichts an der grundlegenden Kritik an einer solch erheblichen Einschränkung.

Sonderregelung erhöht Verwaltungsaufwand 

Die Sonderregelung unterliegt darüber hinaus administrativen Umsetzungshürden und erhöht den Verwaltungsaufwand enorm. Bisher konnten Finanzinstitute Verluste im Rahmen des Kapitalertragssteuer-Verfahrens verrechnen. Dies ist nun nicht mehr möglich, da es den Kapitalerträge auszahlenden Instituten nicht möglich ist, die festgelegte Grenze von 20.000 Euro zu überwachen. Eine materiell-richtige Besteuerung kann der Steuerpflichtige nur durch eine Veranlagung erreichen. Dies führt sowohl zu mehr Aufwand für die Finanzverwaltungen aufgrund der steigenden Anzahl an Steuererklärungen, als auch zu einem Liquiditätsnachteil für die Steuerpflichtigen, da realisierte Verluste erst im Rahmen der Veranlagung beziehungsweise eben gar nicht berücksichtigt werden können.

Bis zu einer endgültigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sollten betroffene Anleger unter Verweis auf die anhängigen Verfahren Einspruch gegen die Steuerbescheide einlegen sowie gegebenenfalls Aussetzung der Vollziehung beantragen.


Über die Gastautorinnen:

Catarina Herbst ist Rechtsanwältin und Steuerberaterin, zudem Fachanwältin für Steuerrecht. Herbst ist seit 2018 Partnerin bei Mazars und verantwortet in der Rechtsanwaltsgesellschaft den Bereich Private Clients, insbesondere die Vermögens- und Unternehmensnachfolge, am Standort Hamburg. Schwerpunkte sind unter anderem die Beratung vermögender Privatpersonen, die rechtliche und steuerliche Vermögensstrukturierung im nationalen und internationalen Kontext sowie die Gestaltung der Nachfolgeplanung.

Christina Vosseler ist Steuerberaterin und seit 2017 auch Partnerin bei Mazars. Vosseler ist seit 1999 bei der Rechtsanwaltsgesellschaft respektive den Vorgängergesellschaften tätig. Schwerpunkte sind unter anderem die Beratung vermögender Privatpersonen, die Begleitung von Investments im nationalen und internationalen Kontext, Vermögensstrukturierung und die Gestaltung und Begleitung von Nachfolgelösungen.

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