Anomalie bei „Glamour-Aktien“ Der Markt handelt bei Value-Titeln irrational

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Der Markt als Ganzes ist davon betroffen. In bestimmten Phasen wird sich der Markt sehr stark auf einige Risiken konzentrieren, nur um andere Risiken auszulassen, die nicht im aktuellen Fokus stehen oder gegen den Trend gehen. Im Moment scheint es beispielsweise so, als ob das Geschäftsrisiko im Hinblick auf Disruptoren vom Markt hoch priorisiert erscheint, während das Bewertungsrisiko aus überhöhten Preisen im Verhältnis zu Fundamentaldaten scheinbar ignoriert wird.

Nehmen wir zum Beispiel an, dass Sie eine Outperformance erzielen wollen, aber nur zwei Unternehmen haben, in die Sie investieren können. Eins davon ist Amazon und das andere ist der Warenhausbetreiber Macy‘s. Welches dieser Unternehmen scheint risikoreicher zu sein, und welche Aktie sollte empirisch folglich die höchste Rendite bringen? Das Unternehmen mit dem höchsten Wachstum und Beliebtheitsgrad oder das Unternehmen mit einem höheren Maß an Volatilität, Zyklizität und Geschäftsrisiko?

Theoretisch sollten die Investoren von Macy‘s für das zusätzliche Risiko, das sie eingehen, entschädigt werden. Diese Risiken – Geschäftsrisiko, Konjunkturzyklizität und allgemeine Unsicherheit – sind in vielen der heutigen Value-Aktien zu erkennen. Diese „realen“ Risiken führen zu Agency Risk und Verhaltensfehlern, die vom zweiten Lager identifiziert werden. Je mehr Unsicherheit ein Anleger hat, desto mehr Druck entsteht. Für langfristige Investoren sollte die kurzfristige Wirkung nicht so stark sein.

Hier kommt allerdings das psychologische Phänomen „kurzsichtige Verlustaversion“ ins Spiel. Es beschreibt einen extremen Fokus auf die kurzfristige Aktienkursentwicklung, der zu Überreaktionen auf die jüngsten Verluste führt, auf Kosten der langfristigen Performance. Dies ist auch empirisch belegt: Bernatzi und Thaler zeigen beispielsweise, dass Investoren, die ihre Portfolios und die Wertschwankungen regelmäßig analysieren, implizit niedrigere Renditen akzeptieren als Investoren, die die Ergebnisse seltener bewerten.

Der Grund dafür ist, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Verlust zu beobachten, viel höher ist, wenn Investoren ihr Portfolio in kürzeren Abständen betrachten. Dies wird von Joel Greenblatt in seinem jüngsten Gespräch mit Richard Pzena, Gründer von Pzena Investment Management, gut beschrieben: „Der renditestärkste Investmentfonds der 2000er Jahre verdiente tatsächlich über 18 Prozent pro Jahr über ein Jahrzehnt, in dem die Durchschnittswerte des Gesamtmarktes im Wesentlichen unverändert blieben. Aufgrund der Kapitalbewegungen von Anlegern, die in Zeiten, in denen der Fonds eine Weile hinter der Wertentwicklung zurückgeblieben war, aus dem Fonds ausstiegen, wandelte der durchschnittliche Anleger (kapitalgewichtet) diesen jährlichen Gewinn von 18 Prozent in einen Verlust von 11 Prozent pro Jahr im gleichen Zehn-Jahres-Zeitraum um.“ (Hier finden Sie das Gespräch von Joel Greenblatt und Richard Pzena als Video.)

Da die Anleger ihre Verluste spüren, geraten auch einige Investmentmanager immer stärker unter Druck, was das Agency Risk erhöht. Der Druck von Markt und Investoren führt zu einem emotionaleren Verhalten, trübt das Urteilsvermögen und verursacht Fehler – was letztlich zu Fehlbewertungen führt.

Value erzielt seine überdurchschnittlichen, langfristigen Erträge aus einer Kombination von Unsicherheiten, die sich aus verschiedenen Risikoarten, Emotionen und Agency Risk ergeben. Diese Faktoren sind aus unserer Sicht miteinander verflochten, und wir glauben nicht, dass man sich strikt in einem Lager der Value-Debatte befinden muss.

Die Märkte sind dynamisch und die Dinge ändern sich, aber eines wird sich nicht ändern: Man kann keine Value-Outperformance erwarten, ohne das gleichzeitige Vorhandensein von Unbehagen. Ein sogenannter „Free Lunch“ wird auf dem Markt nicht angeboten, und die eigentliche Wertquelle liegt im Unbehagen, das andere angesichts der Unsicherheit empfinden und deswegen davon Abstand nehmen. 

Allerdings ist in Wirklichkeit alles, was Investitionen betrifft, mit Unsicherheit behaftet. Weniger Ausrechenbarkeit (Visibilität) und eine breitere Streuung der Ergebnisse führen zu mehr Unsicherheit. Dies wiederum führt zu mehr wahrgenommenen Risiken, was das Agency Risk vergrößert und die emotionalen Prozesse erhöht. Dies funktioniert aber auch umgekehrt: Je weniger Risiko wahrgenommen wird, desto eher ist ein Investor bereit, ein hohes Multiple zu zahlen und mehr Bewertungsrisiko einzugehen.