Anomalie bei „Glamour-Aktien“ Der Markt handelt bei Value-Titeln irrational

Goran Vasiljevic ist Investmentchef (CIO) und Sprecher der Geschäftsführung bei Lingohr & Partner Asset Management.

Goran Vasiljevic ist Investmentchef (CIO) und Sprecher der Geschäftsführung bei Lingohr & Partner Asset Management. Foto: Lingohr & Partner Asset Management

Nach einem extrem schwierigen Jahrzehnt für wertorientierte Strategien sehen sich Investoren mit anhaltender Value-Überzeugung vom Markt mit dem Rücken an die Wand gedrängt. Während immer mehr Artikel über das Ende des Value-Stils publiziert wurden, vergrößerte sich die Unsicherheit vieler Anleger, da sie den Verlauf des Bullen-Marktes beobachteten mussten, ohne selbst in marktbeherrschende und sehr gut performende Qualitäts- und Wachstumswerte investiert zu sein (Link öffnet Artikel auf cnbc.com).

Investoren kaufen vermehrt Geschäftsmodelle, in denen das Hauptbeurteilungskriterium – die Generierung freier Cashflows im Verhältnis zum Kaufpreis – nicht im Vordergrund steht. Dieses Phänomen ist nicht neu. Selbst angesichts der immensen Dauer dieses Anti-Value-Zyklus gibt es einen Präzedenzfall für diese Situation, wie O'Shaughnessy Asset Management in seinem jüngsten Artikel „Value is Dead, Long Live Value“ dokumentiert.

Die Fragen, die wir uns stellen müssen, lauten: Wie kann es möglich sein, Fehleinschätzungen in beliebten Unternehmen, die jeder für große und solide Unternehmen hält, zu finden? Welche einzigartigen Fähigkeiten muss man beim Kauf neuer Geschäftsmodelle besitzen, die letztendlich zu mehr Erkenntnissen führen, als der optimistische Markt bereits eingepreist hat? Und wie kann der für einen Vermögenswert gezahlte Preis so weit von den zugrunde liegenden Fundamentaldaten entfernt sein, obwohl jeder weiß, dass in der Zukunft immer eine gewisse Unsicherheit besteht und dass mehr Ereignisse passieren können, als man antizipiert?

Wenn es hart auf hart kommt

Als ehemaliger Leistungssportler ist mir diese Situation nicht neu. Wenn man sich die berühmtesten Tennisspieler aller Zeiten ansieht – Djokovic, Federer, Nadal, Becker –, haben sie alle die gleiche Antwort parat, wenn es um den Umgang mit Druck und widrigen Situationen geht. Wenn sie sich in einer schwierigen Phase befinden, konzentrieren sie sich auf den mit ihrem Team entwickelten Prozess, glauben stringent an ihn und tun weiterhin, was sie tun müssen. Sie arbeiten weiter hart und folgen dem Prozess, bis sich die Situation früher oder später zum Besseren wendet. Sie sind sich bewusst, dass der Prozess, für den sie sich entschieden haben, der richtige ist und haben die Disziplin daran festzuhalten.

Als Tennisspieler muss man die harte Wahrheit akzeptieren, dass man, egal wie gut man ist, nicht jedes Spiel gewinnen kann. Oftmals geschieht dies, obwohl man sein Bestes gibt und alle erforderlichen Fähigkeiten besitzt. Man kann einen schlechten Tag haben oder einfach nur Pech. Und obwohl die Gegenseite an einem bestimmten Tag besser sein mag, sagt das nichts darüber aus, ob man selbst langfristig besser oder erfolgreicher ist. Das einzig Wichtige ist, dass der Prozess richtig ist, dass er ständig bewertet, verfolgt und verbessert wird, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.

Diese Situation ist auch mit der Kapitalanlage vergleichbar. Wenn es hart auf hart kommt, arbeiten wir weiter an und nach unserem Prozess und glauben an das, was funktioniert. Überzeugung ist ein äußerst wichtiger Faktor, um die notwendige Disziplin für diesen Prozess aufrechtzuerhalten. Niemand kann mit Sicherheit wissen, was morgen passieren wird – aber man kann sich bewusst machen, woran man grundsätzlich glaubt und wie man auf eine Reihe von Ergebnissen reagieren sollte. Ähnlich wie beim Sport können sich Situationen drastisch verändern, so dass die Gewinner von heute die Verlierer von morgen sind oder umgekehrt.

Der Prozess ist entscheidend

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Niemand weiß, was genau in Zukunft passieren wird. Alles, was wir haben, sind die zum Zeitpunkt der Entscheidung verfügbaren Informationen, mit denen wir die Verteilung der erwarteten Ergebnisse und deren Wahrscheinlichkeiten abschätzen können. Das Beste, was wir anstreben können, ist, diese Bandbreite von Szenarien richtig zu identifizieren.

Bei der Multiplikation der Wahrscheinlichkeiten mit ihren jeweiligen Barwerten leiten wir den Erwartungswert für jede Entscheidung ab, was somit die Grundlage der Entscheidungsfindung ist. Die Ergebnisse des Prozesses sind natürlich volatil – jede Entscheidung enthält Wahrscheinlichkeiten, und selbst eine scheinbar sichere Wette mit einer Erfolgswahrscheinlichkeit von 90 Prozent führt jedes zehnte Mal zum Misserfolg. Auf der anderen Seite gibt es viele „schlechte Wetten“, die man eingehen kann. Die Lotterie wäre ein Beispiel dafür – die Beteiligung daran ist eine negative Erwartungswertentscheidung. Dennoch haben einige Personen Glück. Das macht die ursprüngliche Entscheidung nicht besser – in Abbildung 1 beschrieben als „Glück gehabt“.

Abbildung 1: Überblick über die Prozess- und Ergebnisauswertung


Quelle: Russo, E. und Schoemaker, P. „Winning Decisions“