Man muss KI im Zusammenhang mit anderen Bausteinen sehen: Big Data, die fortschreitende Automatisierung, The Internet of Things, Cloud Computing, neue Computer bis hin zu Quantencomputern, Fortschritte in der Robotik und Nano- sowie Biotechnologie, selbstfahrende Autos, Blockchain, Augmented und Virtual Reality. Der Knoten des Fortschritts ist nun klar am Platzen. Es ist kein Zauberwerk und keine plötzliche Entwicklung, denn wir haben die Grundlagen für diese nächsten logischen Zukunftsschritte in den letzten Jahren und Jahrzehnten gelegt.
Wie immer: Einiges wird schneller kommen und einiges wesentlich länger dauern als viele aktuell denken. Die Geschwindigkeit, mit der sich unser Wissen zur sogenannten Künstlichen Intelligenz und anderen Bereichen gerade weiterentwickelt, ist aber enorm. Die nächsten Jahre und Jahrzehnte werden wohl einen der schnellsten Wandel der Menschheitsgeschichte mit sich bringen. Wir kennen die nachhaltigen großen Gewinner und die echten großen Verlierer unter den Aktien heute aber noch nicht.
Eine oft gestellte Frage ist in diesem Zusammenhang, ob Europa überhaupt mit den USA und China auf diesem Gebiet mithalten kann. Die Antwort ist, wie so oft: ja und nein. Nein, wir werden beim Coding von Sprachmodellen wohl nicht ganz vorne mitspielen. Das klare „Ja“ gilt aber dafür, dass wir als Anwender dieser Technologien bestens geeignet sind und hieraus ein massiver Produktivitätsschub für viele Unternehmen entsteht. Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist das natürlich Balsam für unsere Ohren und Seele. Allerdings müssen wir auf europäischer und deutscher Ebene noch an den Rahmendaten und auch an der Stimmung für unsere Unternehmen arbeiten.
Was bedeutet das für langfristige Investoren? Was für Chancen und Risiken gibt es vor diesem Hintergrund für den Vermögensausbau und die Vermögenssicherung?
Gut geführte Familienunternehmen werden mit der Hilfe von Künstlicher Intelligenz ihre Prozesse in vielen Bereichen revolutionieren können – und damit nicht nur Kosten sparen, sondern ihre Kunden noch wesentlich besser und wesentlich schneller bedienen können. Dazu eine weiter beschleunigte Forschung und Entwicklung, extreme Effizienzsteigerung in der Compliance oder in der generellen Administration sowie im Controlling oder die schnellere, effizientere und noch mehr auf den aktuellen Bedarf ausgerichtete Produktion.
Wir können viele Parallelen aus neuen Technologien in den letzten Jahrhunderten ziehen. Ähnlich wie bei der Dampfmaschine, Eisenbahn, Elektrizität oder dem Telefon. Der am naheliegendste Vergleich ist aber natürlich der Internetboom vor nunmehr circa dreißig Jahren und die darauffolgende Dotcom-Krise.
Was technische Revolutionen für Investoren bedeuteten
Kommerzielle Internetdienstanbieter (ISPs – internet service providers) wie AOL oder Compuserve, entstanden zum Ende der 1980er Jahre. Dazu kam Mitte der 1990er Jahre das Verlegen von Glasfaser-Kabeln. Das Internet hatte, nach Wikipedia und natürlich auch unserer eigenen Erinnerung, einen revolutionären Einfluss auf Kultur, Handel und Technologie: E-Mail, Instant Messaging, Voip-Telefonanrufe, Video-Chat und World Wide Web mit seinen Diskussionsforen, Blogs, sozialen Netzwerkdiensten und Online-Shopping-Sites. Sinngemäß nach Wikipedia erfolgte die Übernahme der globalen Kommunikationslandschaft durch das Internet historisch gesehen sehr schnell: „Im Jahr 1993 machte es nur 1 Prozent der telekommunizierten Informationen aus, im Jahr 2000 waren es 51 Prozent und im Jahr 2007 mehr als 97 Prozent“
Was hat diese technische Revolution aber für uns Investoren bedeutet? Wiederum sinngemäß Wikipedia zur Dotcom-Blase: „Zwischen 1995 und seinem Höchststand im März 2000 stiegen die Aktien im Nasdaq um 800 Prozent, fielen dann aber im Oktober 2002 um 740 Prozent von ihrem Höchststand und gaben alle Gewinne wieder ab. Während des Dotcom-Crashs scheiterten viele Online-Shopping-Unternehmen sowie mehrere Kommunikationsunternehmen und wurden geschlossen. Andere überlebten, wurden aber übernommen. Unternehmen, wie Amazon und Cisco Systems, verloren große Teile ihrer Marktkapitalisierung.“
Wenn wir uns die Aktienentwicklung von der Deutschen Telekom und anderen Stars des Internet-Hypes ansehen, dann sehen wir einen astronomischen Anstieg vieler Aktienkurse, ohne dass Umsätze oder Gewinne parallel maßgeblich gestiegen waren. Der Aktienmarkt hatte die Hoffnung auf gigantische Gewinne nach dem Prinzip „Hoffnung“ eingepreist. Wir erinnern uns auch, dass auch Amazon uns lange auf Gewinne und dann höhere Gewinne warten ließ – hier hat sich das Warten aber irgendwann ausbezahlt. Wenn wir uns aktuell die Aktien von Nvidia oder ASML anschauen, sehen wir wiederum steil steigende Aktienkurse, aber bisher sind parallel auch die Umsätze und Gewinne steil gestiegen. Auch volatil aber wesentlich stabiler dagegen die Qualitätsaktien von Familienunternehmen, die die neuen Technologien zum Ausbau ihrer ohnehin schon sehr guten Marktstellung verwendet haben. Beispiele hierfür sind bekannte Retail-Schwergewichte wie L’Oreal oder Inditex.
Als Investoren dürfen wir also Bewertungen nie außer Acht lassen. Es kann ja sein, dass ein Unternehmen sehr von einer neuen Technologie profitieren kann und daher in der Zukunft sehr erfolgreich sein wird. Wobei Erfolg am Ende immer höherer Gewinn beziehungsweise höherer Cashflow bedeuten muss. Die Frage muss aber immer sein: Was ist davon schon im Preis bereits enthalten? Es ist immer ein Abgleich zwischen dem, was ich dem Unternehmen zutraue, gegenüber dem, was der Markt bereits eskomptiert.
KI wird auch an den Kapitalmärkten wichtiger
Wenn wir über KI und Big Data reden, dann wird recht klar, dass sich aller Voraussicht nach auch die Dynamik an den Aktienmärkten weiter verändern wird. Das ist für uns Investoren wichtig zu beachten. Der Markt hat sich den letzten Jahren schon maßgeblich verändert und ist in Teilen wesentlich schwerer kurzfristig zu verstehen und damit vorhersagbar geworden. Das wird durch den verstärkten Einsatz von KI wahrscheinlich noch weiter forciert werden. Das hat mit professionellen Marktteilenehmern zu tun – immer mehr Computer-Trading-Modelle, immer mehr volatilitätsgetriebene Risikomodelle, Trendfolgemodelle et cetera. Aber auch Privatanleger, die ETFs, Meme-Stocks oder vielleicht 50 Aktien weltweit per Klick auf dem Smartphone in Sekundenbruchteilen kaufen oder verkaufen, tragen Verantwortung. Das erinnert oft eher an Sportwetten als an langfristigen Vermögensaufbau.
Wenn ich spekuliere, kann ich zum Beispiel vor allem Marktstimmungen, Investmentflows, Preisdynamiken, Trending Investmentthemen oder Korrelationen versuchen schnellstmöglich aufzufassen, zu verarbeiten und entsprechende Käufe und Verkäufe abzuleiten sowie schnell bestmöglich umzusetzen. Fundamental muss ich hier in der Regel nicht viel von dem Unternehmen hinter der Aktie verstehen. Hier macht KI bereits einen Riesenunterschied. Der Mensch ist hier gar nicht mehr so sehr notwendig, wie es vielleicht mal der Fall war. Hier kann er oft im Weg stehen: zu langsam, nicht fähig, out-of-the-box Zusammenhänge von riesigen Datenmengen zu sehen, zu emotional.
Das ist für langfristige Investoren manchmal ärgerlich: Teures kann noch viel länger immer teurer werden und Billiges noch viel länger immer billiger. Teilweise dauert es noch länger, bis Qualität sich durchsetzt und Qualität bedeutet am Ende immer tatsächlicher Cashflow. Doch es ist auch eine große Chance, wenn man genügend Geduld mitbringt. Bei einer Immobilie schaue ich auch nicht alle drei Minuten, wo der mögliche Verkaufspreis steht. Hier zeigt sich meiner Meinung nach der Unterschied zwischen Spekulieren und Investieren… und groteskerweise könnte traditionelles langfristiges Investieren in Qualitätsaktien, gerade wegen KI, eine goldene Zeit vor sich haben. Manchmal muss man eben für den Erfolg (oder auch die Vermögenssicherung) gegen den Strom schwimmen.
Wenn man zu den Familienunternehmen kommt, kann man sagen, dass diese aufgrund ihrer Stärken und Charakteristika von dem auf uns zukommenden Wandel sehr sicher überdurchschnittlich profitieren werden. Wenn diese Unternehmen Künstliche Intelligenz on top nutzen, stellt das einen enormen Hebel auf die Stärken und Qualitäten dar, und damit einen immensen Effizienz- und Margen-Boost.
Einige dieser Charakteristika sind, denke ich, ein offensichtlicher Vorteil im Wandel: Sei es eine langfristig ausgerichtete Strategie (nicht auf Quartalsergebnisse fokussiert), Innovationsstärke, schnelle und unbürokratische Entscheidungsfindungsprozesse, die ausgiebige Krisenerfahrung oder, dass es um das eigene Geld, den eigenen Namen die eigene Reputation, den Lebensinhalt, die Hinterlassenschaft für die nächsten Generationen geht.
Familienunternehmen profitieren als ganzes Ökosystem von KI
Dazu kommt das Ökosystem „Familienunternehmen“. Dieses profitiert von starken, haltgebenden Wurzeln: Dazu gehören langfristige Beziehungen mit Investoren, Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten sowie eine starke Unternehmenskultur und Identifikation mit dem Unternehmen. Gerade in diesen modernen und bewegten Zeiten machen ja wir Menschen den entscheidenden Unterschied. Das wird in der Zukunft zu und nicht abnehmen. Nicht Künstliche Intelligenz oder der Computer machen den Unterschied – das sind nur Instrumente, die wir, und alle anderen nutzen, um unsere Aufgaben besser und schneller auszuführen. Den Unterschied machen aber weiter wir Menschen.
Es gibt aber natürlich auch die andere Seite der Medaille, also ein paar Schwächen von Familienunternehmen, die wir umschiffen müssen – zum Beispiel die Gefahr von Familienkonflikten, Gefangenheit in Traditionen nach dem Motto: „Das haben wir immer schon so gemacht“. Oder die Nachfolgeplanung.
Der technische Wandel kommt und das ist gut für uns. Das wird unser Leben in vielen Aspekten bereichern. Für Investoren bringt es viele Veränderungen, viele Chancen und Risken. Ich glaube fest daran, dass diese Neuerungen für unsere Unternehmen und Volkswirtschaft einen extremem Effizient- und Produktivitäts-Boost mit sich bringen werden. Wir wissen noch nicht, wer die ganz großen Gewinner und die ganz großen Verlierer sein werden. Doch ich glaube fest, dass langfristiges Investieren in Qualität und Unternehmertum in diesen neuen, immer schnelleren, immer automatisieren Zeiten eine goldene Periode vor sich hat. Spekulieren Sie also nicht auf eine mögliche Zukunft, sondern investieren Sie in Qualität, bewiesene Unternehmen und erprobtes Unternehmertum. KI wird an vielen Stellen die Starken noch stärker und die Schnellen noch schneller machen.
Über den Gastautor:
Andreas Lesniewicz hat sich auf Investments in Aktien von europäischen Familienunternehmen spezialisiert. Er ist unter anderem Fondsmanager des Conren Generations Family Business Equity. Als Geschäftsführer des Salmuth‘schen Family Investment Office hat er die Investmentgesellschaft Conren im Jahr 2004 mit aufgesetzt. Er betreut seit über 15 Jahren Unternehmerfamilien bei Investmentthemen.