Aus der Finanzmarktforschung Es gibt keinen Kohlenstofffaktor

Die Anzahl der Faktoren, mit denen Forscher, Asset Manager und auch immer mehr Großanleger die Renditen von Wertpapieren zu erklären versuchen, wächst beständig. Laut dem kanadischen Wirtschaftswissenschaftler Campbell R. Harvey von der privat finanzierten Duke University in Durham (US-Bundesstaat North Carolina) hat die akademische Forschung neben bekannten Renditetreibern wie Value, Momentum, Quality und Size inzwischen mehr als 400 (!) Renditefaktoren identifiziert und in Fachmagazinen darüber berichtet. Und die Tendenz ist: steigend.

Längst sprechen Forscher und Marktteilnehmer von einem „Factor Zoo“, einem Sammelsurium von Renditetreibern sozusagen. Harvey selbst sagt, „die Faktorproduktion in der akademischen Forschung“ sei „außer Kontrolle“ geraten. In einer Studie („A Census of the Factor Zoo“), veröffentlicht im vergangenen Jahr, dokumentiert Harvey mehr als 400 Renditefaktoren – und sagt, viele von ihnen seien schlichtweg „falsch“.

Laut dem Vermögensverwalter Blackrock nutzen faktorbasierte Investitionen die Fortschritte der modernen Datenverarbeitung und Technologie, um diese historischen Renditetreiber gezielt in Portfolios einzusetzen. „Wenn wir verstehen, wie Faktoren funktionieren, können wir ihr Potenzial für Überrenditen und Risikoreduzierung nutzen, wie es führende institutionelle Anleger und aktive Fondsmanager seit Jahrzehnten tun“, sagen die US-Amerikaner heute.

Erkenntnisse aus der Forschung 

Wie weit die wissenschaftlichen Erkenntnisse bei Faktoren inzwischen jedoch streuen, zeigt eine neue Publikation (The Decarbonisation Factor. A New Academic Fiction?) aus dem Forschungsumfeld der französischen Universität Edhec. Darin widmet sich Abraham Lioui der Frage, ob für nachhaltige Anlagen eine Art „Dekarbonisierungsfaktor“ nachgewiesen werden könne, ein grüner Faktor sozusagen, dank der Abkehr von klimaschädlichen Unternehmen. 

Lioui ist Professor für Finanzen an der Edhec Business School und Mitglied im Forschungszentrum Edhec-Scientific Beta Research Chair. Der Wissenschaftler kann aus einem Fundus an Untersuchungen schöpfen. Der Haken an der Sache ist, dass es an der Edhec zwar Studien zu dem Thema gibt, deren Autoren kommen jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Cheema-Fox et al. (2019) sowie Bolton und Kasperczyk (2019) haben sich näher mit den Auswirkungen der CO2-Emissionen von Unternehmen auf die Finanzmärkte beschäftigt. Während die Untersuchung von Cheema-Fox et al. („Decarbonization Factors“) regelmäßig genutzt werde, um den Nutzen hervorzuheben, den ein grüner Faktor bieten könne, widersprechen Bolton und Kasperczyk den Ergebnissen der Untersuchung.

Finanzprofessor Lioui erläutert: Der Artikel von Cheema-Fox et al. zeige, dass Unternehmen, die vergleichsweise wenig CO2 emittieren, gegenüber ungezügelten Treibhausgasemittenten besser abschneiden. Bolton und Kasperczyk sehen das anders. Sie kommen zu der Einschätzung, dass hohe Kohlenstoffemissionen die Rendite fördern.

Wie geht man als Forschungseinrichtung mit zwei derart gegensätzlichen Resultaten um, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben? Professor Lioui vom Edhec-Scientific Beta Research Chair relativiert die Aussagen dahingehend, dass beide „nicht genügend Licht“ in die Thematik brächten, um daraus ein Fazit ziehen zu können. Außerdem wiesen beide Untersuchungen „methodische Begrenzungen“ auf. Lioui sagt, es sei gerechtfertigt zu fragen, ob die Dekarbonisierung tatsächlich ein Faktor sei, der Investmentrenditen treiben könne. Allerdings zeige sich, dass die Frage noch nicht abschließend beantwortet sei. 

Der Vorstandschef von Scientific Beta, Professor Noel Amenc, versucht ebenfalls die Wogen zu glätten: Angesichts der Tatsache, „dass es keinen Kohlenstofffaktor gibt, sollten wir schlussfolgern, dass es zwar keine positive Risikoprämie für Anleger gibt“, denen niedrige CO2-Emissionen ihrer Beteiligungen wichtig sind. Auf der anderen Seite gebe es aber eben auch keine negative Risikoprämie. Mit Blick auf die Erkenntnisse der akademischen Forschung kommt Amenc zu dem Fazit, dass es bei der Konstruktion von Portfolios möglich sei, die „schlechten Äpfel“ unter Klimagesichtspunkten auszuschließen. Auf diese Weise gelange man zu hoch-dekarbonisierten Portfolios mit einer „sehr guten risikoadjustierten Performance“. Ein solcher Ansatz stilisiere Kohlenstoff nicht zu einem für die Performance relevanten Faktor.

Anbieter und Anleger sollten aufhören, ihren Stakeholdern zu viel „grüne Performance“ zu verkaufen, fordert Amenc. Vielmehr sollten sie gegenüber ihren Adressaten erläutern, dass es „nicht schlimm“ sei, Gutes zu tun. Der Kampf gegen den Klimawandel sollte eben nicht von „hastigen und fragilen Erkenntnissen“ über die Existenz eines Karbonfaktors abhängig gemacht werden.

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