Die Ausgaben der Asset Manager für Finanzmarktdaten wie Börsenkurse und Indizes sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Sie erreichten 2024 weltweit knapp 50 Milliarden US-Dollar. „Die Preissteigerungen sind massiv“, sagt Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI. Eine aktuelle Studie der Londoner Strategieberatung Market Structure Partners (MSP) hat das Preisgebaren der Börsen in Europa nun genauer unter die Lupe genommen – mit deutlichen Ergebnissen.
Die Preisspirale
„Die Studie zeigt, dass die Börsen in Europa mit den Preiserhöhungen ihre rückläufigen Umsätze im Handelsgeschäft ausgleichen“, so Richter. Diese Preissteigerungen würden allerdings jeder sachlichen Grundlage entbehren: „Denn für die Erstellung von Marktdaten fallen keine spezifischen Kosten an, und die Kosten für den Betrieb einer Handelsplattform sind stabil oder sogar rückläufig.“
Die Deutsche Börse sieht die Situation naturgemäß anders. Die Marktdatenpreise seien grundsätzlich darauf zurückzuführen, dass Kosten steigen. Unter anderem durch regulatorische Änderungen wie beispielsweise Mifid II sowie durch Inflation und den zunehmenden Wettbewerb um Talente. „Die regulatorischen Änderungen betreffen unter anderem die Vorhaltung ausreichender IT-Kapazitäten, Vorkehrungen zur Cybersecurity, umfängliche Berichtspflichten sowie spezifische Anforderungen an die Inhalte der Daten-Feeds“, erklärt eine Sprecherin der Deutschen Börse. Dies seien nur einige Beispiele, die sich jedoch summieren und so auf die jeweilige Kostenstruktur auswirken würden.
Ein Bericht des Beratungsunternehmens Oxera, auf den sich die Deutsche Börse stützt, kommt zu dem Schluss, dass die Börsenerlöse von 2018 bis 2023 relativ stabil geblieben seien. Konkret lag bei den Mitgliedsbörsen des Verbands der europäischen Wertpapierbörsen (Federation of European Securities Exchanges/FESE) der durchschnittliche Anteil von Marktdatenerlösen im Vergleich zu Handelserlösen 2018 bei 26 Prozent, 2023 bei 29 Prozent.
Die Finanzmarktstruktur-Expertin Niki Beattie von MSP zeigt in der Analyse jedoch große Preisunterschiede für die gleichen Marktdaten auf, je nachdem, wie sie verwendet werden. Non-Display-Daten, die rein maschinell verarbeitet werden, waren 2024 in bestimmten Fällen bis zu 97-mal teurer als Display-Daten 2017, die auf Monitoren angezeigt und von menschlichen Nutzern gelesen werden.
Wie im Restaurant
In einem Linkedin-Beitrag vergleicht Beattie die Situation mit einem Restaurant: „Stellen Sie sich vor, Sie bestellen ein Essen zum Mitnehmen, und das Restaurant ruft später an und verlangt Extragebühren – je nachdem, wie viele Teller Sie benutzen, ob Sie es in der Mikrowelle oder im Ofen aufwärmen, was Sie beruflich machen oder wie viele Freunde und Familienmitglieder mitgegessen haben.“
Diese Analogie beschreibt die undurchsichtigen Gebührenstrukturen, die Börsen für die Nutzung ihrer Marktdaten eingeführt haben. Während vor Mifid I Marktdaten oft kostenlos oder zu moderaten Preisen verfügbar waren, haben die Börsen seither zahlreiche neue Gebührenkategorien eingeführt, die sich je nach Verwendungszweck, Benutzertyp und Verbreitungsart unterscheiden.
Im Alltag der Asset Manager
Das spüren Asset Manager. „Die Kosten für zentral bezogene Marktdaten sind von 2018 bis 2024 um etwa 125 Prozent gestiegen“, berichtet Rolf Fillinger, Leiter Marktdaten-Management bei Union Investment. Bei seinem Arbeitgeber machen die Marktdatenkosten rund 3 Prozent der
Verwaltungsaufwendungen aus. Für Janos Bohnke von Allianz Global Investors ist es noch teurer: „Marktdatenkosten machen etwa 20 Prozent unserer gesamten operativen Kosten aus.“
Er beobachtet: Kosten für Display-Daten erhöhten sich moderat, während Indexkosten um über 70 Prozent stiegen, insbesondere bei der London Stock Exchange. Ein besonderes Problem sehen beide Bereichsleiter darin, dass die Komplexität zunimmt: „Die verschiedenen Lizenzmetriken der Anbieter und Börsen machen einen Vergleich unmöglich, und die Metriken werden regelmäßig gewinnmaximierend weiterentwickelt“, so Fillinger.
Bohnke ergänzt: „Die Preisstruktur ist äußerst komplex und umfasst eine Vielzahl an Faktoren: Kosten pro Nutzer, Lokationen, Reporting, Applikationen zur Datenverarbeitung, Datenweiterleitung, die Nutzung in Benchmarks sowie maßgeschneiderte Indizes.“
Oligopolmacht
Die MSP-Studienautoren kommen zu einem klaren Schluss: Es gibt keinen echten Markt für Marktdaten. Die Börsen würden ihre Marktmacht nutzen, um ungerechtfertigt hohe Preise zu verlangen. Die Daten seien lediglich ein Nebenprodukt des Handels und sollten entsprechend
bepreist werden. Eine Gewinnmarge von rund 75 Prozent, wie sie bei den Börsen für Marktdaten üblich sei, sei nicht angemessen. Denn: Andere Datenanbieter wie Investmentbanken oder Datenvendoren wie Refinitiv haben lediglich Gewinnmargen von 24 bis 26 Prozent.
Der BVI und die Asset Manager kritisieren aber nicht nur die Preisniveaus, sondern auch die Oligopolstrukturen und die Marktbeherrschung der großen Börsen und Datenanbieter. „Fondsgesellschaften sind gesetzlich verpflichtet, Börsenkurse, Benchmarks, Ratings und andere Daten von Drittanbietern zu verwenden“, erklärt Richter. „Das gibt den Datenanbietern
Marktmacht und führt zu teilweise explodierenden Preisen.“

Wandel des Geschäftsmodells
Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt: Der Anteil des Aktienhandels am Gesamtumsatz der großen europäischen Börsen sank in den vergangenen Jahren drastisch. Bei der Deutschen Börse und der London Stock Exchange Group (LSEG) macht er nur noch etwa 3 Prozent aus. Die MSP-Studie empfiehlt, dass sich Börsen wieder auf ihr Kerngeschäft fokussieren und eine Kongruenz zwischen Aktienhandel und Marktdatengeschäft herstellen.
Laut den Studienautoren ist es bedenklich, wenn Börsen den Aktienhandel „zu einem Restposten bei 4 Prozent Umsatzanteil verkommen lassen“. Denn das verhindert, dass es mehr Börsennotierungen, mehr Börsenhandel und mehr private Vermögensbildung gibt – obwohl sich die Poltik genau das wünscht. Parallel zu dieser Entwicklung werden die Gebührenmodelle für Marktdaten immer komplexer gestaltet und stetig weiterentwickelt, wie Asset Manager berichten.
Die Börsen argumentieren dagegen, dass sie durchaus in ihre Kernmärkte investieren. „Wir sind bestrebt, unseren Kunden genau die Informationen zu liefern, die sie benötigen – zeitgerecht und in der für sie passenden Form“, erklärt eine Sprecherin der Deutschen Börse. Das Unternehmen betont, dass es ein reines B2B-Geschäft betreibe und viele seiner institutionellen Kunden persönlich hinsichtlich des Angebots berate. Zudem seien alle Vereinbarungen zur Marktdatenverteilung, Preislisten sowie die zugehörigen Dokumente öffentlich einsehbar.
Regulierung als Lösung?
„Am Ende wäre konzeptionell eine Gesamtlösung nötig“, folgert Richter in seinem Podcast „Nachdenken“. „Deshalb setzen wir uns für einen sogenannten Data Vendor Act auf EU-Ebene ein, der gleichförmige Regeln zur Bepreisung von Marktdaten im weitesten Sinne, aber auch zu zulässigen Lizenzinhalten und gewissen Transparenzanforderungen, wie zum Beispiel Preislisten für alle Datenprodukte, festlegen würde.“
Dass jemand aus der Finanzbranche mehr Regulierung fordert, mag überraschen. Schließlich treten die Fondsverbände sonst eher für Deregulierung ein. Richter entkräftet diesen Widerspruch wie folgt: „Wir reden hier nicht über eine Preisbildung in einem freien Markt. Dieser Markt ist nicht frei, denn wir sind gesetzlich verpflichtet, diese Daten zu kaufen, ob das jetzt ESG-Daten, Ratings oder Börsenkurse sind. Der Gesetzgeber treibt uns sozusagen in die Arme der Oligopole, die dieses Angebot zur Verfügung stellen.“
Konkrete Wünsche
Bis die Politik den Markt EU-weit regulatorisch einrahmt, müssen Asset Manager andere Wege finden, um die steigenden Marktdatenkosten in den Griff zu bekommen. Richter empfiehlt „intensive Verhandlungen mit den Anbietern“ und mehr Transparenz, indem die Akteure Kosten Benchmarks nutzen. Zudem sollten Mitglieder verstärkt die Wettbewerbsbehörden einschalten, „um hier einen gewissen Abschreckungseffekt zu erzielen“.
Die Produktwünsche der Asset Manager sind simpel: Union Investment fordert eine „einfache und transparente Struktur“. Verwendet ein Asset Manager Daten hausintern, dann hält Union einen Festpreis für sinnvoll – unabhängig von der Zahl der Nutzer, Systeme, Geschäftsbereiche oder Standorte. Allianz Global Investors wünscht sich „ein Lizenzmodell, das unabhängig von komplexen Preistreibern ist“ sowie nachvollziehbare Preislisten.
Wer zahlt am Ende?
Dass die Debatte um Marktdatenkosten heißer wird, hängt natürlich auch mit dem Kostendruck bei Häusern wie Union oder Allianz Global Investors zusammen – schließlich sinken die Einnahmen. Die zentrale Frage bleibt: Wer trägt am Ende die steigenden Marktdatenkosten? Aktuell geben sowohl Union Investment als auch Allianz Global Investors an, sie weitgehend selbst zu tragen. Bei Union Investment findet „keine direkte Kundenumlage“ statt.
Das könnte sich langfristig aber theoretisch ändern. Die Folge: Die hohen Marktdatenkosten dürften Fondsrenditen schmälern und die Produktvielfalt einschränken. „Letztlich trägt der Fondssparer die Preiserhöhungen für Marktdaten“, warnt BVI-Chef Richter schon jetzt. Die Autoren der MSP-Studie sprechen von „erheblichen Opportunitätskosten“, wenn zu hohe Marktdatenpreise sowohl Innovationen als auch den Vertrieb bestimmter Produkte verhindern.
Ob sich Fondsbranche und Börsen auf einen gemeinsamen Nenner einigen können oder ob regulatorische Eingriffe notwendig werden, bleibt abzuwarten. Für viele Asset Manager steht fest: Die aktuelle Situation mit explodierenden Kosten für immer restriktiver nutzbare Daten ist
unhaltbar – und schadet letztlich den Anlegern.