In Zeiten von Klima- und Zinswende Wie Rückversicherer ihr Asset Liability Management steuern

Sebastian Schlütter (L), Professor für quantitative Methoden an der Hochschule Mainz, und Christoph Lamby, Vorstandsmitglied der R+V Versicherung

Sebastian Schlütter (L), Professor für quantitative Methoden an der Hochschule Mainz, und Christoph Lamby, Vorstandsmitglied der R+V Versicherung, über die Herausforderungen im Liquiditätsmanagement von Rückversicherern. Foto: Nathalie Zimmermann / R+V

Naturkatastrophen kosteten 2024 laut Munich-Re-Bilanz weltweit 320 Milliarden US-Dollar – davon trugen Versicherer 140 Milliarden Dollar. Die Herausforderungen für die Rückversicherer in Zeiten von Extremwetter sind gewaltig. „Zum einen gilt es, stets ausreichende Liquidität für Katastrophen, die nach Region, Zeitpunkt und Schadenhöhe zufallsbedingt sind, vorzuhalten“, erläutert Christoph Lamby, Vorstandsmitglied und zuständig für aktive Rückversicherung bei der R+V Versicherung, die Rolle des Asset Liability Managements (ALM) und ergänzt: „Zum anderen müssen in einem versicherungstechnisch weltweit diversifizierten Portfolio die Kapitalanlagen währungskongruent erfolgen.“

Kein leichtes Unterfangen vor dem Hintergrund, dass ein großer Teil der festverzinslichen Bestände durch die Zinswende stille Lasten aufweist und damit in seiner Handhabe beeinträchtigt ist. So der Standpunkt von Sebastian Schlütter, Professor für quantitative Methoden an der Hochschule Mainz. Der Experte für Risikomanagement beobachtet seit einigen Jahren einen Wandel: Bereiteten in der Niedrigzinsphase vor allem hohe Garantiezinsen in den Beständen Probleme, verschiebt sich der Schwerpunkt nun von der Solvabilität zum Liquiditätsmanagement.

Klimawende und Konjunktur

Neben den Zinsrisiken rückt der Klimawandel in den Fokus der Versicherer. Johannes Mertsching, Leader Capital Markets and Strategy von Mercer Investments und Daniel Teetz, Senior Consultant, Oliver Wyman identifizieren beides als „transversale Risiken, die über verschiedene Kanäle auf klassische Risiken wirken“. Die Berater unterscheiden zwischen physischen Risiken durch direkte Klimafolgen und transitorischen Risiken, die mit der Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft verbunden sind.

Ihre Modellrechnungen zeigen: Eine verzögerte Klimawende könnte das Wirtschaftswachstum deutlich belasten. Dass der Klimawandel aus mehreren Perspektiven relevant für Versicherer ist, unterstreicht auch Schlütter. „Zum einen übernehmen sie eine zentrale Rolle bei der Absicherung gestiegener Elementarschadenrisiken. Zum anderen spielen Versicherer als Investoren eine bedeutende Rolle bei der Eindämmung des Klimawandels, indem sie auf nachhaltige Kapitalanlagen setzen.“

Lamby von der R+V bestätigt: „Versicherer müssen heute beide Aspekte berücksichtigen. Einerseits sind wir Risikoträger für Elementarschäden, andererseits wollen wir mit unserer Anlagestrategie zur Klimawende beitragen.“ Ein zentraler Aspekt sei dabei, sowohl bei den versicherten Risiken als auch im Portfolio regional zu diversifizieren.

Regional ausgerichtete Versicherer kämpfen vor allem mit den gestiegenen Elementarschadenrisiken. Ihre begrenzte geografische Diversifikation erschwert eine effektive Risikostreuung. Die Branche reagiert darauf nicht nur mit einem angepassten Risikomanagement, sondern auch mit ihrer Anlagestrategie, beobachtet Schlütter.

Langfristige Perspektive

Die komplexen Anforderungen setzen Versicherer unterschiedlich um. „Die Kapitalanlage erfolgt bei uns zentral für alle Gesellschaften“, erläutert R+V-Vorstand Lamby. Bei allen Investitionen werde darauf geachtet, dass sie kosteneffizient umgesetzt werden können.

Die R+V verzichtet dabei bewusst auf ein zertifiziertes internes Modell und entschied sich für die Standardformel nach Solvency II. Diese misst die Solvenzkapitalanforderung anhand vorgegebener Risikomodule wie Markt-, Kredit- und operationelle Risiken. Die Berater von Mercer hingegen sehen in den integrierten ALM-Unternehmensmodellen den Vorteil, „dass Wechselwirkungen zwischen Aktiv- und Passivseite sichtbar werden“, wie Mertsching erläutert.

Allerdings sind die Installation und Pflege eines internen Modells deutlich aufwendiger und risikoreicher, als die Standardformel zu verwenden. Teetz von Mercer berichtet zudem, dass im Bereich der Private Markets eine erhebliche Streuung in Bezug auf die Performance zu beobachten sei: „Dies wiegt bei den typischerweise langfristigen Investments der Versicherer besonders schwer.“ Die Manager-Selektion werde damit zum kritischen Erfolgsfaktor.

„Versicherer sollten bei den ausgewählten Asset-Kategorien im Auge behalten, wo sie über kompetitive Vorteile verfügen“, rät Schlütter. Diese lägen – trotz der zunehmenden Bedeutung des Liquiditätsmanagements – nach wie vor in der langfristigen Perspektive der Kapitalanlage. Doch das entsprechende Knowhow muss das Unternehmen entweder selbst aufbauen oder extern einkaufen.

ALM 2.0

Hoffnung macht angesichts dessen der technologische Fortschritt: „Quantencomputing könnte ein wichtiges Tool im ALM werden“, sagt Schlütter. Die Portfoliooptimierungsprobleme von Versicherungsunternehmen sind für klassische Computer sehr rechenintensiv. Hybride Verfahren, die Teilprobleme auf Quantencomputern lösen, könnten geeignete Lösungsansätze deutlich schneller berechnen. „Einige Unternehmen nutzen es bereits erfolgreich, um Wettbewerbsvorteile etwa im Bereich der Kapitalanlage zu erzielen und die langfristige Stabilität zu sichern“, resümiert Risikoexperte Schlütter.

Zudem gibt es auch neue Anforderungen an die Organisation. Das Asset Liability Committee (ALC) etwa behandle Themen, die für Versicherungsunternehmen existenziell sein können. Dementsprechend sollte es hochkarätig besetzt sein, betont Schlütter. Die Themen seien häufig vielschichtig und erforderten Expertise in vielen Bereichen – von Risikobewertung über Bilanzierung und Regulierung bis zur Lage an den Finanzmärkten.

Mertsching betont, dass das ALC ein wertvolles Instrument sein kann, um die Risiken und Chancen der Vermögensund Verbindlichkeitsstruktur ganzheitlich zu steuern. „Es braucht Expertise aus allen relevanten Bereichen – von der Kapitalanlage über das Risikomanagement bis zur Versicherungstechnik“, erläutert er.

 

Die R+V setzt auf klare Strukturen: „Entscheidend ist die enge Abstimmung zwischen Kapitalanlage und Versicherungstechnik. Nur so können wir Risiken und Chancen rechtzeitig erkennen und entsprechend handeln“, sagt Lamby. Ein Reporting-System, das schnelle Entscheidungen ermöglicht, ist für ihn besonders wichtig.

Indem es die interdisziplinäre Zusammenarbeit und strategische Entscheidungsprozesse fördert, könne das ALC laut Schlütter die Stabilität des Unternehmens unterstützen. Gleichzeitig seien die Situationen oft so neuartig, dass Investoren „Out-of-the-box“-Lösungen finden müssen. Daher sei es wichtig, dass das ALC über die notwendigen Ressourcen verfüge. Seine Empfehlung: Informationssysteme so gestalten, dass sich mit ihrer Hilfe bei Bedarf schnell Dashboards erstellen lassen. In unvorhersehbaren Situationen erleichterten diese es, Entscheidungen zu treffen.

Unterm Strich muss das ALM sich weiter wandeln. Mercer sieht dabei drei Trends: Dazu gehört neben neuen Technologien auch, ESG-Kriterien zu integrieren sowie sich strategisch stärker auszurichten. Lamby von der R+V fasst zusammen: „Entscheidend wird sein, wie effizient wir diese Entwicklungen in unsere bestehenden Prozesse integrieren können.“

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