Greenwashing Quintet-ESG-Chef: „Nachhaltigkeit beginnt bei der Asset Allocation“

James Purcell, Nachhaltigkeitschef der europäischen Privatbankengruppe Quintet

James Purcell, Nachhaltigkeitschef der europäischen Privatbankengruppe Quintet: „Vieles von dem, was großzügig als "nachhaltige Investitionen" eingestuft wird, hat keine Substanz.“ Foto: Quintet

Immer wieder lesen wir darüber, welchen neuen Rekordwert das verwaltete Vermögen in nachhaltigen Geldanlagen nun wieder erreicht hat. „Die Gesamtsumme der Geldanlagen, die in Deutschland unter Berücksichtigung von strengen umweltbezogenen, sozialen und auf eine verantwortungsvolle Unternehmensführung bezogenen Kriterien angelegt sind, ist 2020 um 25 Prozent gestiegen und erreichte zum Jahresende 2020 ein neues Rekordvolumen von 335,3 Milliarden Euro“ – so stellte es zum Beispiel das Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) in seinem jüngsten Marktbericht fest. So löblich solche Initiativen zur Schaffung von Markttransparenz sind, sind sie meist leider einfach ein Beispiel dafür, wie die Branche zu viel verspricht und zu wenig hält.

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Vieles von dem, was großzügig als "nachhaltige Investitionen" eingestuft wird, hat keine Substanz. Einfache Screenings und die manchmal beinahe symbolische Berücksichtigung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG-Faktoren) im Anlageprozess bringen, wenn überhaupt, nur wenige reale Vorteile für die Menschen und den Planeten. Ein Großteil der Gelder, die in nachhaltige Geldanlagen fließen, berücksichtigt am Ende bestenfalls auf der Ebene einzelner Wertpapiere Nachhaltigkeitskriterien. Das kann dazu führen, dass der Kauf bestimmter Wertpapiere aufgrund der Beteiligung an einer umstrittenen Aktivität abgelehnt wird, oder ein nachhaltiger Faktor kann ein Kursziel um einige Prozentpunkte erhöhen oder senken. Echte Nachhaltigkeit schafft man aber mit seinem Portfolio nicht auf der Ebene der Einzeltitelauswahl, sondern in der Asset Allocation.

Die Asset Allocation, also die bewusste Auswahl und Steuerung der Gewichtung der einzelnen Anlageklassen, ist für mehr als 80 Prozent der Finanzerträge eines Portfolios verantwortlich. Der Rest entfällt auf die Auswahl der einzelnen Instrumente, also zum Beispiel auf die Aktienauswahl. Die Asset Allocation ist daher bei weitem die wichtigste Entscheidung, die ein Anleger treffen kann, wenn er sein Vermögen erhalten und vermehren will. Und analog dazu ist die Allocation auch der wichtigste Stellhebel für einen Anleger, wenn er mit seinen Investitionen einen realen positiven Einfluss auf die Welt ausüben will.


Erstaunlicherweise spielen nachhaltige Faktoren in der Debatte um die Asset Allocation oft keine Rolle. Wenn doch, werden sie in der Regel erst am Ende des Prozesses berücksichtigt und als eine Form von Einschränkung der zuvor bereits getroffenen Grundsatzentscheidungen behandelt. Ein beliebter Ansatz ist es beispielsweise, einfach den herkömmlichen zweidimensionalen Kompromiss zwischen Rendite und Risiko zu nehmen und eine dritte Dimension hinzuzufügen: die Nachhaltigkeit. Bei diesem Ansatz werden nachhaltige Investitionen oft als eine Form von Zugeständnis betrachtet – was wiederum die Annahme impliziert, dass mehr Nachhaltigkeit auf Kosten der Rendite oder mit einem höheren Risiko einhergeht. Wenn man diesem Modell folgt, dann hätten Nachhaltigkeitsfaktoren keinen direkten Einfluss auf das erwartete Risiko oder die Rendite; sie wären dann vielmehr ein zu zahlender Preis.

Die Lösung des Dilemmas liegt darin, sich von dem Paradigma des Trade-offs zu lösen und stattdessen die Nachhaltigkeit bereits in den Prozess der Asset Allocation einzubetten – von der Definition des Anlageuniversums bis hin zu den fundamentalen Prognosen. Um dies zu erreichen, gibt es drei pragmatische und zugleich renditesteigernde Maßnahmen, die Entscheidungsträger in der Asset Allocation ergreifen können.