Analyse Appell an Stiftungsvorstände: Digitalisierung ist kein IT-Projekt

Die Stiftungsexperten Stefan Haake (links) und Ferenc von Kacsóh

Die Stiftungsexperten Stefan Haake (links) und Ferenc von Kacsóh: Stiftungsverantwortliche müssen beim digitalen Wandel vom Zuschauerrand in den Fahrersitz wechseln. Foto: Lisa Miletic Photography / Kerstin Keysers Photography

Wir leben in einer sich immer weiter digitalisierenden Welt, ist eine oft getätigte Aussage. Aber ist sie überhaupt zutreffend? – Nein – denn es ist keineswegs die Welt, die sich selbst digitalisiert, sondern wir Menschen sind es, die immer mehr Prozesse durch das Hilfsmittel der Digitalisierung automatisieren, verselbständigen und so vermeintlich leichter steuerbar machen. Dieses Zitat führt jedoch bei vielen Unternehmenden und Stiftungsverantwortlichen zum Trugschluss, dass Digitalisierung nichts weiter als ein IT-Projekt sei, das man – mal eben so en passant – an die IT-Abteilungen delegieren könne.

Dabei ist der Wesenskern dieses Vorgangs so alt wie die Menschheit, und schon im antiken Rom formulierte es der Dichter und Philosoph Ovid so: „Tempora mutantur, nos et mutamur in illis." – wörtlich übersetzt: „In verändernden Zeiten ändern auch wir uns." Die Frage ist also nur: Lassen wir Veränderung mit uns geschehen, oder wollen wir anpacken und es wagen, die Veränderung selbst mitzugestalten?

Digitalisierung ist Transformation

Gerne wird übersehen, dass es bei der Digitalisierung um nichts weniger geht als um die Entwicklung und Implementierung einer neuen Kultur des Umgangs mit Menschen, ihren Daten und auch um Formen der digitalen oder gar tokenisierten Kapitalanlage innerhalb und außerhalb der Organisation – tatsächlich geht es also um die digitale Transformation aller Lebensbereiche der Menschheit. Wenn das kein originäres und delegierbares Thema der Führungsebene ist, dann gibt es wohl gar keines mehr.

Dabei beobachten wir eine gewisse Sorglosigkeit mit dem Umgang der derzeit überall und massenhaft anfallenden und gespeicherten Daten. Mehr noch: Niemand scheint diese Sorglosigkeit zu hinterfragen. Hier nur ein – zugegeben signifikantes – Beispiel, stellvertretend für hunderte mehr: Der deutschstämmige US-Amerikaner Peter Thiel ist nicht nur bekannt dafür, dass er den Wahlkampf für Donald Trump finanzierte; auch seine Position als Ankerinvestor bei Facebook und anderen ist hinreichend bekannt.

Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung

Die Auswirkungen der Digitalisierung verändern also unseren Umgang mit unseren Daten fundamental: bei der Analyse der Daten werden bisher nicht miteinander gekoppelte Prozesse miteinander verschränkt, was wir häufig als disruptiv erleben: Das holt uns, zum Teil sogar sehr abrupt, aus unserer Komfortzone. Vieles davon mag uns zunächst sogar angenehm erscheinen – und entpuppt sich, bei genauerem Hinsehen, als nächster Schritt hin zum gläsernen Bürger – und verletzt in Wirklichkeit fundamentale Grundrechte, beispielsweise das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

So gibt es Zahnbürsten, die an eine App gekoppelt sind, die das Zahnputz-Verhalten analysiert und dem Hersteller der Zahnbürste übermittelt, der seinerseits diese Daten an die Versicherungen verkauft. Diese beziehen bei ihrer Entscheidung über Zahnersatz-Leistung und Prämien die Daten mit ein. Oder eine App, die hochpreisige Headsets nur dann gut klingen lässt, wenn die Standortfreigabe im Smartphone aktiviert ist.

In letzter Zeit macht ein scheinbar neues Wort die Runde: das Metaversum. Tatsächlich wurde dieses Kofferwort aus meta (jenseits) und Universum aber bereits 1985 in einem Science-Fiction-Roman kreiert. Heute beschreibt es einen kollektiv-virtuellen Raum, jenseits unseres physisch erlebbaren Universums, den jeder mitgestalten kann und soll. In der Theorie.

Tatsächlich ist das Metaversum ein Geschäftsmodell, das menschliches Verhalten – bezüglich Politik, Konsum, sozialer Entwicklungen und mehr – beispielsweise durch die Analyse und Verschränkung von Datenuniversen vorhersagbar machen soll. Denn nur so lassen sich die Daten zukünftig monetarisieren.

Summiert kann man vielleicht sagen: Die Ambiguität, sozusagen das Ungewisse, treibt uns alle, angesichts vermeintlich kürzer werdender Krisenintervalle und des Gefühls, dass quasi alles gleichzeitig passiert, gern einmal in die Haltung des Lieber-mal-nichts-tun’s. Dennoch ist Digitalisierung eine unveräußerliche Führungsaufgabe.