Brancheneinschätzungen gespalten Anleger decken sich vor der Wahl mit deutschen Aktien ein

Friedrich Merz (CDU) oder doch Olaf Scholz (SPD)? Vom Ergebnis der Bundestagswahl gehen auch wichtige Signale für die Kapitalmärkte aus.

Friedrich Merz von der CDU oder doch Olaf Scholz von der SPD? Vom Ergebnis der Bundestagswahl gehen auch wichtige Signale für die Kapitalmärkte aus. Foto: Imago Images/STAR-MEDIA, Imago Images/Rüdiger Wölk

An den Aktienmärkten ist derzeit ein bemerkenswertes Schauspiel zu beobachten: Anleger gewichten deutsche Aktien deutlich über. Die Bestände deutscher Wertpapiere sind im Vergleich zum Rest der Eurozone so groß wie seit Ende der 2010er Jahre nicht mehr – die Corona-Krise mal ausgenommen. Damals gewichteten die Anleger deutsche Aktien wohl wegen besserer Liquidität und der großen Wirtschaft über. Nun dürfte der Grund für die Gier nach deutschen Aktien ein anderer sein – schließlich ist Corona kein Thema mehr.

 

„Es ist daher möglich, dass die Märkte angesichts der bevorstehenden Bundestagswahlen bereits bessere industriepolitische und wirtschaftliche Ergebnisse der neuen deutschen Regierung einpreisen“, meint Geoff Yu, Senior-Marktstratege für die EMEA-Region bei BNY. Yu hat die Aktienbestände anhand der Iflow-Daten aus 52,1 Billionen US-Dollar verwahrten und verwalteten Vermögen der BNY-Verwahrstelle analysiert, die zu den größten der Welt zählt.

Seit Ende der 2010er Jahre gewichteten Anleger deutsche Aktien im Vergleich zum Rest der Eurozone unter, nun hat sich die Situation gedreht.
Seit Ende der 2010er Jahre gewichteten Anleger deutsche Aktien im Vergleich zum Rest der Eurozone unter, nun hat sich die Situation gedreht. © BNY

Die Hoffnung auf ein politisches Signal nach dem Ampel-Aus treibt wohl auch die Anleger um, erklärt Yu: „Eine echte deutsche Neuausrichtung auf die Inlandsnachfrage sollte sich auch positiv auf die übrige Eurozone und die Europäische Union auswirken, die ihre eigene Neujustierung benötigt.“ Längerfristig müsste der wahre Maßstab für den Erfolg aber darin bestehen, dass Deutschland dem übrigen Europa bei der Wiederbelebung der Bewertung helfe. „Der Terminkalender des nächsten Bundeskanzlers wird mit dringenden handels- und geopolitischen Angelegenheiten gefüllt sein, aber Berlin darf das Gesamtbild der europäischen wirtschaftlichen Integration und Widerstandsfähigkeit nicht aus den Augen verlieren“, meint Yu.

Mehr öffentliche Ausgaben oder weniger Steuern für Unternehmen?

Was genau in den Terminen des nächsten Bundeskanzlers auf der Agenda stehen sollte, darüber sind sich viele Volkswirte und Investmentstrategen aus dem Private Wealth und Asset Management nicht ganz einig. Für Berenbergs Chefvolkswirt Holger Schmieding ist Friedrich Merz der wahrscheinlichste Kanzler – und der wichtigste Indikator der finanzielle Spielraum, den Merz schaffen müsste: „Ohne mehr fiskalischen Spielraum dürfte es Merz schwerfallen, seine potenziellen Partner aus dem Mitte-Links-Lager davon zu überzeugen, ernsthaften wachstumsfördernden Reformen zuzustimmen“, meint Schmieding und ergänzt: „Zudem würde ihm der fiskalische Spielraum fehlen, um die Militärausgaben entscheidend anzuheben und gleichzeitig die öffentlichen Investitionen zu erhöhen und die Belastung von Unternehmen und Haushalten durch erhebliche Steuer- und Stromkostensenkungen zu verringern.“

 

Stefan Hofrichter, Leiter Global Economics & Strategy bei Allianz Global Investors, rechnet damit, dass die CDU eine Koalition im Idealfall mit einer, möglicherweise aber auch mit zwei Parteien der Mitte (SPD, Grüne oder FDP) eingeht. „Wir erwarten nicht, dass die Randparteien genügend Stimmen erhalten, um eine Sperrminorität zu bilden.“ Eine stabile deutsche Regierung mit einer wirtschaftsfreundlichen Agenda könnte wieder einen positiven Ton für Europa anschlagen – wichtig angesichts der drohenden Zölle auf europäische Exporte in die USA. „In diesem Fall würden wir einen leichten Anstieg der Renditen von Bundesanleihen erwarten, da die Anleger darüber nachdenken, was eine Lockerung der Schuldenbremse bewirken könnte: eine Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und einen Anstieg der Anleiheemissionen“, sagt Hofrichter.

Auch Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, sieht in Merz den wahrscheinlichen Kanzler und auch er geht davon aus, dass es Investitionen in Energie und Infrastruktur brauche. Handlungsbedarf sieht Krämer darüber hinaus vor allem bei drei Themen: „Bei den Steuern, den Arbeitskosten/Humankapital sowie der Regulierung. Dabei liegt dies nicht unbedingt an einer absoluten Verschlechterung der Situation in Deutschland, sondern darin, dass andere Länder gehandelt haben, die deutsche Regierung aber nicht.“ Viele Länder hätten die Steuersätze für Unternehmen gesenkt, während sie in Deutschland unverändert geblieben seien. 

Druck auf Deutschland kommt auch nach der Wahl von außen

Michael Beck, Leiter Asset Management bei Ellwanger & Geiger, geht davon aus, dass die Regierung nach der Bundestagswahl notwendige Wirtschaftsreformen angeht. Auch er nennt den Bürokratieabbau und die Reformierung der Schuldenbremse, um Investitionen in Bereichen wie Verteidigung und Infrastruktur möglich zu machen. „Es ist aber von einer Koalitionsbildung auszugehen, die die notwendigen Wirtschaftsreformen aufgrund von Kompromissbildung nur unvollständig umsetzen wird“, stellt Beck fest.

Die größten Unsicherheiten würden aber auch nach der Bundestagswahl von außen kommen, glaubt der Kapitalmarktexperte. So wird der gesamte europäische Wirtschaftsraum durch die erratischen Ankündigungen der neuen US-Administration herausgefordert. Dazu gehören schwächeres Wirtschaftswachstum in Folge des Handelskonflikts und ein deutlich höhere Investitionsbedarf für Verteidigung und Infrastruktur. Herausforderungen, die auf Deutschland und die EU nach der Wahl am Sonntag zukommen – egal, welche Partei als Sieger hervorgeht.

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