Herr Mertsching, welche Rolle spielt ALM bei Versicherungsunternehmen?
Johannes Mertsching: Asset-Liability Management (ALM) ist ein entscheidender Prozess für Finanzinstitute, insbesondere für Versicherungsunternehmen und Pensionskassen, um die Risiken, die sich aus der Differenz zwischen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten ergeben, zu steuern und unternehmensstrategische Ziele zu unterstützen. Die Anlagestrategie sollte zu den Verpflichtungen passen, und der ALM-Prozess ist hier der Schlüssel.Der Fokus liegt dabei oftmals noch allein auf „traditionellen“ Risiken – etwa Markt- oder Kreditrisiken.
Und was sind Klimarisiken?
Mertsching: Klimarisiken verstehen wir in der Regel als „transversale“ Risiken, welche über verschiedene Transmissionskanäle auf klassische Risiken wirken. Dabei unterscheiden wir zwischen physischen und transitorischen Risiken, deren Ursache jeweils in den Folgen des Klimawandels, oder in den Kosten zur Vermeidung des Klimawandels liegt. Die mit dem Klimawandel verbundene Unsicherheit über die präzisen Auswirkungen, beispielsweise auch die weiter steigende Wahrscheinlichkeit von Kippunkten im Erdklima, stellen nicht nur Versicherungen und Pensionskassen vor große Herausforderungen. Im Sinne eines umfassenden Risikomanagements sollten Klimaentwicklungen daher in den ALM-Prozess integriert werden.
Wie sollte das geschehen?
Mertsching: Es gibt sicher verschiedene Herangehensweisen. Mercer und Oliver Wyman entwickelten beispielsweise einen gemeinsamen Ansatz, um Investoren kosten- und ressourcenschonend in der Einbindung dieser Risiken zu unterstützen.
Wie gehen Sie dabei vor?
Mertsching: Wir greifen auf etablierte ALM-Prozesse zurück – so kann die Integration in den ALM-Prozess konsistent zu anderen Risiken erfolgen. Zu diesem Zweck empfiehlt sich die Verwendung von Klimarisikoszenarien. Diese Szenarien untersuchen für verschiedene plausible Klimaentwicklungen die Entwicklung von Klimavariablen sowie die Auswirkungen auf zentrale Finanzmarktvariablen. Bestehende ALM-Prozesse können mit diesen „klimagestressten“ Kapitalmarkterwartungen normal durchlaufen werden und die Auswirkung verschiedener Klimaentwicklungen auf die instituts- und steuerungsrelevanten ALM-Indikatoren verstanden werden.
Losgelöst von Klimarisiken wird die Kapitalanlage von Versicherern komplexer, was die Kosten schnell in die Höhe treiben kann. Was sollte getan werden, um dennoch die Ertragskraft beizubehalten, welche Rolle spielt beispielsweise künstliche Intelligenz?
Mertsching: Insbesondere im Bereich der Private Markets beobachten wir eine erhebliche Streuung in Bezug auf die Performance, welche vor allem aufgrund der langfristigen Investitionen umso gravierender zu bewerten ist. Daher ist die Manager Selektion ein kritischer Erfolgsfaktor, um aus dem globalen Angebot an Asset Managern und Produkten für jede Anlageklasse die am besten geeigneten Kandidaten auszuwählen und zu implementieren. Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit, führende Investment Manager zu identifizieren und eingehend zu bewerten.
Genau das ist ja oft ein Knackpunkt. Was hilft in Ihren Augen dabei Manager zu bewerten?
Mertsching: Um die zukünftige Leistungsfähigkeit eines Managers beurteilen zu können, ist eine detaillierte Analyse erforderlich, die sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte berücksichtigt. Dazu gehört beispielsweise eine Beurteilung der Qualität der Manager bei den internen Research-Prozessen und seine Erfahrung in der relevanten Strategie sowie die Identifikation potenzieller Schwachstellen, die sich negativ auf die zukünftige Outperformance auswirken könnten.
Was sollte noch geschehen?
Mertsching: Entsprechendes Know-How muss im Unternehmen aufgebaut oder bespielweise über externe Partner eingekauft werden, um eine wettbewerbsfähige Kapitalanlage sicherzustellen. Daneben spielen selbstverständlich auch die verhandelten Gebühren eine zentrale Rolle. Im Rahmen des von uns durchgeführten Gebührenvergleichs bei Kunden sehen wir immer wieder Potenzial für Nachverhandlungen. Die Möglichkeiten des Einsatzes künstlicher Intelligenz entwickeln sich stetig weiter und werden sicher auch in diesem Bereich entsprechende Anwendungen finden.
Das Asset Liability Committee kann ein Instrument im ALM-Prozess sein. Was halten Sie davon?
Mertsching : Zur Abstimmung der Anlagestrategie ist ein Verständnis der Verpflichtungen entscheidend. Zudem können weitere unternehmensweit relevante Kriterien auch für die Anlagestrategie wichtig sein, beispielsweise ESG-Profil und Geschäftsstrategie. Das Asset Liability Committee (ALCO) kann vor diesem Hintergrund ein wertvolles Instrument sein, das dazu beiträgt, die Risiken und Chancen im Zusammenhang mit der Vermögens- und Verbindlichkeitsstruktur eines Unternehmens gesamtheitlich zu steuern.
Durch die Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit und die strategische Entscheidungsfindung kann das ALCO die Stabilität und Rentabilität des Unternehmens unterstützen. Es ist jedoch wichtig, die potenziellen Herausforderungen zu berücksichtigen und sicherzustellen, dass das Commitee gut strukturiert und mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet ist, um effektiv arbeiten zu können.
Ganz allgemein, welche Modelle gibt es im ALM und welche Vor-/ Nachteile haben diese in ihren Augen?
Daniel Teetz: In der ALM-Modellierung unterscheiden wir zwischen deterministischen und stochastischen Modellen. Innerhalb der stochastischen Modelle sind viele verschiedene Ansätze möglich.
Können Sie das erklären?
Teetz: Deterministische Modelle verwenden feste Annahmen zu zukünftigen Cashflows, Zinssätzen, Marktentwicklungen und weiteren relevanten Variablen, um die Vermögens- und Verbindlichkeitsentwicklung zu prognostizieren. Die Einfachheit und Transparenz des Ansatzes erlauben eine leichte Kommunikation im Unternehmen. Gleichzeitig berücksichtigen deterministische Modelle nicht die Unsicherheit der zukünftigen Entwicklung. So werden sich etwa Kapitalmärkte nicht immer so entwickeln, wie wir das heute erwarten und entsprechende Risiken können in deterministischen Modellen nur eingeschränkt abgedeckt werden. Hier helfen stochastische Modelle.
Inwiefern?
Teetz: Stochastische Modelle berücksichtigen die Unsicherheiten und Risiken, indem sie Zufallsvariablen verwenden, um verschiedene Szenarien zu simulieren. Eine integrierte Asset-Liability-Simulation in den stochastischen Szenarien erlaubt eine realistische Risikobewertung, etwa unter Berücksichtigung von Marktvolatilität oder adversen Kapitalmarktentwicklungen.