Kapitalmarktausblick von Union Investment „2022 wird Europa beim Wachstum auf Augenhöhe mit China liegen“

Jens Wilhelm von Union Investment

Jens Wilhelm von Union Investment: Der Kapitalmarktstratege macht sich keine große Sorgen wegen der Inflation Foto: Union Investment

Die Kapitalmärkte bereiten sich zunehmend für der Übergang in die „Nach-Corona-Zeit“ vor. Jens Wilhelm, im Vorstand von Union Investment zuständig für Portfoliomanagement und Immobilien, sieht daher weiter gute Chancen für Risikoanlagen wie Aktien. Gleichzeitig rechnet er nicht mit einer Fortsetzung der starken Anstiege der vergangenen Monate, traut dem Dax aber beispielsweise 16.200 Punkte zu und sieht in der Inflation keine große Gefahr.

Anlegern rät Wilhelm zu einem aktiven Ansatz. „In der Post-Pandemie-Phase sind Taktik und Selektion gefragt.“ Mit den Impferfolgen scheint das Ende der Corona-Pandemie in Sichtweite gerückt, zumindest in den größten Volkswirtschaften der Welt, so Wilhelm, der ein Muster erkennt: „Je besser das Infektionsgeschehen kontrolliert wird, umso kräftiger der Aufschwung. Konjunkturmotor ist meist zunächst die weniger pandemieanfällige Industrie, dann kommt der Dienstleistungssektor wieder auf die Beine. Danach folgt typischerweise eine Wachstumsberuhigung.“ Nach diesem Schema macht Wilhelm eine regionale Abfolge aus, bei der die Rolle der Konjunkturlokomotive um den Globus wandert. „Das wenig von Corona betroffene China ist zuerst aus dem Corona-Tal gekommen, jetzt sind die Vereinigten Staaten an der Reihe. Die US-Dynamik zieht die Weltwirtschaft mit.“

Aufgrund der schnellen frühzyklischen Erholung dürfte das Brutto-Inlandsprodukt (BIP) in den USA schon im zweiten Quartal 2021 wieder auf Vorkrisenniveau liegen. Insgesamt erwartet er einen BIP-Zuwachs von 6,4 Prozent für 2021, gefolgt von 3,9 Prozent für 2022. Auch für den Euroraum ist Wilhelm zuversichtlich. „Sobald wir Lockerungen in der Breite haben, wird das Wachstum auch bei uns in die Höhe schnellen“, meint er. Nach China und den USA dürfte der Euroraum damit die dritte Schubphase für das weltweite Wachstum zünden. Er erwartet einen BIP-Zuwachs von 5,1 Prozent im laufenden Jahr. 2022 sollte sich der Aufschwung mit der gleichen Rate fortsetzen. „Im nächsten Jahr wird Europa beim Wachstum auf Augenhöhe mit China liegen“, ordnet er ein. Für Deutschland rechnet er mit einem Plus von 3,9 Prozent für 2021, gefolgt von 5,2 Prozent im Jahr darauf.



Wesentliche Treiber sind seiner Einschätzung nach Nachholeffekte bei Konsum und Investitionen, anhaltend günstige Finanzierungsbedingungen und eine expansive Fiskalpolitik. Damit wird die Inflation zur Schlüsselgröße für die Märkte. Wilhelm rechnet damit, dass die Teuerung noch eine Weile auf erhöhten Niveaus verharrt, sich aber anschließend zurückbilden wird. Die jüngsten Anstiege sieht der Kapitalmarktstratege in der schlagartig einsetzenden wirtschaftlichen Erholung, der aufgestauten Nachfrage und den in einigen Bereichen gestörten Lieferketten begründet.

Aber: „Die preiserhöhenden Faktoren werden durch Verhaltensanpassungen und Angebotsausweitungen an Wirkung verlieren“, meint Wilhelm. „Wir rechnen für den Euroraum mit einer Inflation von 1,9 Prozent im laufenden Jahr, die schon 2022 auf 1,5 Prozent fallen sollte.“ In den USA erwartet er eine ähnliche Entwicklung, lediglich schneller und auf einem höheren Niveau.

Ein unmittelbares Zurückfahren der geldpolitischen Hilfen erwartet Wilhelm daher nicht. „Die Zentralbanken werden durch die Sondereffekte hindurchschauen“, ist er überzeugt. Allerdings: Je robuster der Aufschwung in den Vereinigten Staaten, umso mehr dürfte für die US-Notenbank Fed der Druck zur Drosselung ihrer Anleiheankäufe („Tapering“) zunehmen. „Im laufenden Jahr wird die Fed ihr Ankaufprogramm noch nicht drosseln – aber sie wird beginnen, die Märkte auf weniger Anleiheankäufe ab dem zweiten Quartal 2022 einzustellen“, prognostiziert er. Im Euroraum ist ein ein hartes Abfallen des Impulses durch die Europäische Zentralbank (EZB) nach Auslaufen der aktuellen Programme im April 2022 sehr unwahrscheinlich. „Um ein geldpolitisches Kliff zu vermeiden wird die EZB in der zweiten Jahreshälfte 2021 eine Verlängerung der Anleiheankäufe bekanntgeben“, sagt er.