Um von der allgegenwärtigen Transformation – sei es durch neue Handelskonzepte oder neue Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz – nicht gefressen zu werden, müssen vor allem die Gesellschafter von Unternehmen verstehen, was zu tun ist. Denn nur aktive Großanleger, die selber wissen, wie wichtig etwa die Digitalisierung ist und welche Fragen sie stellen müssen, haben heute noch eine Chance, ihr Asset-Portfolio sicher in die neue, multidimensionale und multipolare Welt zu bringen – sprich: das Portfolio „enkelfähig“ zu halten, wie das oberste Ziel vieler Familienholdings formuliert wird.
Aber wie will man die Unternehmen, in denen man entscheidende Anteile hält, in die digitale Zukunft führen, wenn man die eigenen Strukturen nicht entsprechend anpasst? Wie will man Investment-Entscheidungen rund um neue Geschäftsmodelle treffen, wenn man nicht bis in die Detailebene dieser neuen Modelle durchdringt? Diese Fragen müssen sich vor allem die Family Offices stellen, die noch keine Beschäftigten haben, die Expertise in Sachen KI mitbringen oder die eine Digital Due Dilligence durchführen könnten.
Damit Family Offices, die den digitalen Umbruch offensiv angehen wollen, eine Richtlinie haben, stellen wir – ganz im Sinne der Gewohnheit, bei Akquisitionen in 100-Tage-Plänen zu denken – auf den folgenden Seien einen 100-Tage-Plan mit zehn Schritten in die Zukunft vor.
1. Nachfolge
In unzähligen Familienunternehmen steht die nächste Generation in den Startlöchern oder ist bereits dabei, um auf Basis des Erreichten ein neues Kapitel der Unternehmensgeschichte zu schreiben. Oft werden Transformation und Nachfolge in einem Schritt vollzogen. Die Gefahr des Scheiterns ist hoch, da beide Maßnahmen extreme Umbrüche nach sich ziehen, die das Gefüge des Unternehmens erschüttern.
Was ist zu tun? Es lohnt sich, genau zu überlegen, wie die neue Generation an das Familienunternehmen und das Family Office herangeführt wird. Als gängige Lösung hat sich – nach einigen Lehrjahren an Universität, in der Beratung, im eigenen und/oder ähnlichen Unternehmen – der Einstieg über eine Landesgesellschaft oder eine bestimmte Sparte erwiesen. So können erste Projekte angegangen und erste Erfolge bei der Übernahme der großen Verantwortung als Vertrauensvorschuss dienen. Im Family Office können die Nachfolger ihr digitales und technologisches Know-how einbringen, um die Transformation voranzutreiben.
Ziel für die ersten 100 Tage: Transformation und Nachfolge als jeweils eigenständige Projekte angehen und nur nach sorgfältiger Evaluation Hand in Hand vollziehen.
2. Personal, Headhunting und Talent Scouting
Bei all der Technik, die uns heute zur Verfügung steht: Die digitale Transformation wird von Menschenhand gemacht. Deshalb ist die personelle Besetzung im Family Office das absolute A und O. Anwälte, Ex-Berater und Investmentbanker erfüllen zwar im M&A-Team oder in den Rechtsabteilungen wichtige Fachrollen – und sollten diesen Tätigkeiten auch weiterhin nachgehen. Sie haben aber sowohl in der Führung innerhalb des Family Offices als auch in den Aufsichts- und Beiräten der Portfoliounternehmen nur noch einen beschränkten Nutzen. An ihre Stelle gehören verstärkt Personen mit einem ausgewiesenen, digitalen Hintergrund, bestenfalls KI-Expertise und – ganz wichtig – höchstpersönlichen Befugnissen von der Familie, die digitale Transformation voranzutreiben.
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Hier mag man einwenden, dass es keine anderen geeigneten Kandidaten für ihre Führungsgremien gäbe. In der Tat ist es erstaunlich, wie wenige Family Offices effizient digitales Talent für sich und für ihre Portfoliounternehmen anwerben. Dabei geht es auch darum, die Kompetenz im Family Office aufzubauen, Talenten ebenbürtig gegenüberzutreten. Einige Unternehmen sind sich sicher, allein durch einen prominenten hire einen entscheidenden Sprung nach vorne gemacht zu haben. Doch allzu oft entpuppen sich die angeblichen Superstars als Durchschnitt – oder ihre branchenweit kolportierte Wirkung will sich im neuen Unternehmen einfach nicht so recht entfalten.
Das ist wenig überraschend. Da die Themen rund um KI, Digitalisierung und Transformation komplex sind und sich ständig Neuerungen ergeben, hat Wissen und Erfahrung auf dem Gebiet eine begrenzte Halbwertszeit. Vielmehr geht es darum, einzuschätzen, ob Bewerber in der Lage sind, bevorstehende Herausforderungen zu meistern. Dafür sollte man mit Headhuntern und Talent-Scouts zusammenarbeiten, die Blender aussortieren und anpassungsfähige, vielversprechende Kandidaten erkennen können. Je mehr es von Letzteren in die Auswahl schaffen, desto mehr ist ein Unternehmen in der Lage, selber die richtigen Leute einzustellen.
Was hier zu tun ist? Die Zeit der gedruckten Anzeigen und Bewerbungsmappen mit Foto-Familienstand-Gehaltsvorstellung ist vorbei. Wie alle anderen Unternehmen auch müssen Family Offices auf LinkedIn vertreten sein und dort das Interesse von potenziellen Kandidaten erwecken. Auch die Webseite des Unternehmens sollte attraktiv gestaltet und mit einer Landing-Page für Bewerber ausgestattet sein. Wie sonst sollen die Top-Talente der digitalen Welt ein Family Office kennenlernen? Stimmt, der bewährte, analoge Austausch innerhalb von Zirkeln Gleichgesinnter ist weiter hochgradig wichtig – was aber nicht heißt, dass nicht auch in höherem Maße über den Tellerrand in die digitale Welt geschaut werden sollte.
Ziel für die ersten 100 Tage: Eine auf digitale Talente zugeschnittene Bewerber-Marketing-Strategie aufstellen und den Auftritt des Unternehmens im Web sowie in den sozialen Medien darauf ausrichten. Personalvermittler oder Berater finden, die bei den ersten hochkarätigen Neueinstellungen die Qualitäten der Kandidaten tiefgehend einschätzen können.
3. Moderne Prozesse (walking the talk)
Wer auf LinkedIn versucht, die digitalen Talente anzulocken und Headhunter beschäftigt, um die Besten der Branche von sich zu überzeugen, sollte zugleich die digitale Transformation in den Arbeitsprozessen mit aller Kraft vorantreiben. Es haben nämlich schon etliche Unternehmen Neueinstellungen damit geködert, sie dürften total agil sein und würden nur mit aktuellsten, modernsten Tools arbeiten – und damit Versprechen abgegeben, die sie nicht erfüllen konnten (oder wollten). Junge, digital-affine Talente sind aber noch vor Ende der Probezeit weg, wenn sie merken, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen dem Eindruck, den der Arbeitgeber anfangs vermittelt hat, und der Realität im Betrieb. „It’s no good just talking the talk“, wie unsere amerikanischen Freunde so schön sagen, „you gotta walk the walk.“
Um Klartext zu reden: In den meisten Family Offices wird eben immer noch nicht mit modernen Tools gearbeitet. Videotelefonie und dezentrales Arbeiten sind Hygienefaktoren geworden. Viel wichtiger ist aber, den Dealflow in zeitgemäßen SaaS-Lösungen abzubilden, statt noch immer auf Excel zu vertrauen. Und die Cloud darf nicht wegen Sicherheitsbedenken als großes Problem gelten, sondern sollte nun endlich die gestrige Dokumenten-Logik mit Herlitz-Ordnern ablösen.
Was ist zu tun? Die ersten 100 Tage der Transformation sollten zum Anlass genommen werden, neue Technologien einzuführen. Die neuen Bewerber können dabei direkt einbezogen werden: „Wir wollen die Art, wie wir arbeiten, von Grund auf verändern – und du kannst uns dabei helfen. Wir wollen die Vorzüge von digitalen Cloud-Tools entdecken. Wir werden eine Pipeline-Software einführen, um unseren Dealflow zu tracken sowie CRM-Tools für den Aufbau und die Pflege des eigenen Netzwerks und Kommunikations-Tools wie Slack. Wann immer möglich, auch KI-basiert, versteht sich. Um Due-Diligence-Prozesse zu vereinfachen, wollen wir kollaborative Tools wie Google Drive oder Projektmanagement-Software wie Asana benutzen. Um den Überblick zu behalten, möchten wir ein Live-Dashboard mit den wichtigsten KPIs der Portfoliounternehmen einrichten. Wir brauchen dich, um diesen spannenden Wandel mit uns voranzutreiben – und uns dabei helfen, agiler zu arbeiten und Wissensinseln aufzulösen.“
Das ist ehrlich – und zeigt den Bewerbern, wie viel Gestaltungsspielraum sie haben werden. (Und ja, in der Digital-Welt wird geduzt.)
Ziel für die ersten 100 Tage: Etappenziele auf dem Weg zu modernerem Arbeiten definieren und kommunizieren – nach innen und nach außen – und diese konkreten Schritte zur Änderung der Arbeitsprozesse konsequent gehen.
4. Controlling & KPIs – gestützt durch KI
Wer heute über Zahlen spricht, muss dabei auch an KI denken. Durch Machine Learning, Large Language Models & Co. ergeben sich derartig gewaltige Veränderungen, dass unbedingt KI-Expertise aufgebaut werden muss. Außerdem birgt KI – Stichwort Cybersecurity – auch Gefahren, vor denen es sich lohnt, gewappnet zu sein. Die neuen Möglichkeiten des Controllings gehen dank KI weit über die monatliche betriebswirtschaftliche Auswertung hinaus – was mehr Arbeit, aber eben auch mehr Information bedeutet. So sieht sich das Controlling im Family Office mittlerweile oft vor einer Flut von neuen Tools und Software-Lösungen auf Basis von KI in den verschiedenen Portfoliounternehmen, was das Sammeln und Aggregieren der Daten zur mittelgroßen Herkulesaufgabe macht.
Es war schon immer schwierig, von vielen Firmen viele Daten in verschiedenen Formaten zu erhalten und diese dann analytisch vergleichbar zu machen. Durch den Einsatz von modernen KI-Tools wird das aber einfacher, weshalb es heute im Family Office und auch in den Portfoliounternehmen eine Selbstverständlichkeit sein sollte, Daten im großen Stil zu erheben und zu analysieren.
Damit nicht genug: Jetzt muss das Family-Office-Controlling pro Portfoliounternehmen und auch pro Anlageklasse einen eigenen Satz genau definierter KPIs entwickeln und diese in den Portfoliounternehmen konsequent und langfristig erheben. Daraus werden dann übergeordnete Metriken erstellt: Wie viel Kundenkontakt gab es über das Portfolio hinweg und wie sehen meine durchschnittlichen Customer Acquisition Costs (CAC) aus? Was kann hier die eine Firma von der anderen lernen?
Das ist bei Weitem keine Forderung um ihrer Selbst willen, sondern Notwendigkeit: In der aktuellen Marktlage steht die Steigerung der Profitabilität der bestehenden Unternehmen durch Einsatz von KI und dem Ausrichten des Kerngeschäfts auf Digital Business hoch im Kurs. Hier müssen Family Offices in der Lage sein, die Portfoliounternehmen zu unterstützen.
Was ist zu tun? Family Offices müssen sich und ihr Portfolio in die Lage versetzen, auf einer fundierten Datenbasis Fragen nach Customer Journey und Profitabilität nachzugehen. Sonst werden sie in den kommenden Jahren in einem Markt, in dem solche Analysen zum Standard geworden sind, hinterherhinken.
Ziel für die ersten 100 Tage: Um in einer KI dominierten Welt zu bestehen, braucht es Expertise im Team – nicht nur punktuell, sondern möglichst in der Breite. Dafür sollte unbedingt Sorge getragen werden, sowohl durch Hiring, als auch durch Weiterbildung. Dafür ist im ersten Schritt eine Analyse, im zweiten eine Roadmap zu erstellen. Das veränderte Team kann dann notwendige Leistungsmetriken definieren, Systeme für Data Mining und Data Management etablieren und Daten mittels passender KI-Tools erheben und monitoren.
5. Optimierung durch digitale Partner
Wenn Family Offices nun qualitativ aussagekräftigere Daten über ihre Portfoliounternehmen haben und sie diese mittels KI und KPIs besser controllen können, stellt sich die Frage: Wie soll im Lichte neuer Erkenntnisse mit dem existierenden Portfolio umgegangen werden? Und wird es so umgestaltet, dass es für die digitale Zukunft angepasst ist?
Ab jetzt gilt es, mit einer komplett neuen Geschäftsmodell-Logik zu denken: Es geht um digital value creation. Ein Beispiel: Ein B2B-Unternehmen, das Schrauben herstellt, baut seit jeher auf einen mehrstufigen Vertrieb und hat bisher keinen direkten Kontakt mit Endkunden. Neue digitale Kanäle und Verhaltensmuster – man denke an veränderte Konsumgewohnheiten im Privaten – ermöglichen aber auch hier ein Umdenken und Umbauen: Die Digitalisierung schafft hier neue Möglichkeiten, in Customer Journeys und User Experience zu denken und den Vertrieb direkter zu gestalten. Das ist nicht für jedes Unternehmen der Schlüssel zu einer erfolgreichen Digitalisierung, kann es aber sein.
Dazu muss der Fokus der Optimierung beziehungsweise Umgestaltung auf KPIs liegen, die zur digitalen Wertschöpfung aussagekräftig sind. Nur so kann eine signifikante Steigerung des Unternehmens- und Portfoliowerts erzielt werden.
Um diese KPIs zu erkennen und in ihrer Steuerung geübt zu werden, braucht es ein breites Netzwerk an digitalen Experten, die klaren Input für kurzfristige Maßnahmen geben und dabei helfen, eine langfristige Asset-Strategie zu entwickeln. Dieses Netzwerk wird verschiedene Grade der Integration kennen: Manche Experten werden als Mitarbeiter engagiert, andere werden als Berater auf Honorarbasis zu Rate gezogen. Eventuell kann hier sogar ein ganz neuer Weg gegangen und mit Digitalunternehmen gemeinsam auf Joint Ventures gesetzt werden. Hauptsache ist, dass Family Offices ein Netzwerk an Leuten aufbauen, die helfen, bestehende Portfoliounternehmen digital zu optimieren und eine Strategie für die digitale Entwicklung des Portfolios als Gesamtes zu entwickeln.
Ziel für die ersten 100 Tage: Mit digitalen Experten eine Strategie für ein digitales Portfolio erarbeiten und Sofortmaßnahmen für bestehende Portfoliounternehmen identifizieren.
6. Netzwerke und Ökosysteme
Die nächste Herausforderung schließt sich direkt an: Wie baut man ein Ökosystem oder Netzwerk um sich auf, in dem sich die digitalen Experten, die gebraucht werden, wohl fühlen? Viele Family Offices sind noch in der alten Denke verhaftet und teilen ungern ihr Wissen; es wird sehr selten Vertrauen zu Externen oder – Ketzerei! – anderen Family Offices aufgebaut. Ganz klar: Diskretion und Verschwiegenheit sind zwar sicherlich auch in der digitalen Welt relevant. In vielerlei Hinsicht sind sie aber bei digitalen Initiativen hinderlich. Was aber immer mehr Family Offices mittlerweile einsehen: Früher hat man den Anspruch erhoben, in allen Themen selbst besonders gut zu sein, obwohl es in vielen Fällen außerhalb der eigenen Organisation andere gab, die einfach besser waren. Das ist auch nicht schlimm! Dann gilt es eben, von den Besten zu lernen und bei Gelegenheit mit ihnen zu kooperieren.
Wenn Vertreter von Family Offices etwas von jemandem wissen wollen, tun sie gut daran, erst einmal selbst etwas anzubieten. So fängt man am besten mit einer Betrachtung der eigenen Stärken an: Welches Wissen, welche Ressourcen, welche Dienstleistungen könnten wir in einem Netzwerk zur Verfügung stellen? Dadurch kommt es zu fruchtbarem Austausch: Im Netzwerk werden dann interessante Dienstleister oder Partner, die Beteiligungen hebeln können und andere Investoren, mit denen sich Wissen und perspektivisch sogar Deals teilen lassen, gefunden – zum Nutzen aller Beteiligten.
Ziel für die ersten 100 Tage: Den eigenen Beitrag zu einem Netzwerk klar herausarbeiten und auf mögliche Kooperationspartner, Dienstleister und andere Family Offices zugehen.
7. M&A
Ab sofort sollten Family Offices die Akquise von neuen Unternehmen auf einer fundierten digitalen Bewertung – einer Digital Due Diligence – aufsetzen. Viele Geschäftsmodelle werden in Kürze etwa durch die KI-Disruption keinen Bestand mehr haben und daher sollten neue Investitionen nur dahin fließen, wo wirklich Zukunftspotenzial vorhanden ist – und wo ein Family Office idealerweise mit einem klaren, bestenfalls digitalen Investmentfokus einen Mehrwert bieten kann. Die Zeiten des financial engineerings und operational excellence sind vorbei: Es reicht nicht mehr, etwa durch eine Neuordnung der Schulden Wertsteigerung erzielen zu wollen oder auf „Effizienzgewinne“ oder „Synergien“ durch den zigsten merger zu setzen. Ganz im Gegenteil: So ein Ansatz ist alles andere als zukunftsgerichtet und kann Schäden anrichten. Wer so zu optimieren versucht, limitiert.
Die Digitalisierung eines Family Office erfordert also, alle Annahmen auf den Prüfstand zu stellen und möglicherweise auch den Dealflow erst einmal anzuhalten. Es muss hinterfragt werden, was man sich von den angedachten Zukäufen verspricht: „Sind wir kurz davor, uns bei einer darbenden 08/15-Einzelhandelskette einzukaufen, weil ein Berater meint, durch erneute Auslagerung der Belegschaft in eine nicht-tarifgebundene Transfergesellschaft noch ein paar Cent mehr aus dem ausgetrockneten Konzept herausholen zu können?“ Dann sollte der Deal sofort gestoppt werden. Haben Family Offices aber einen Mittelständler vor sich, der weltweit führend in der Produktion von Kunststoffprofilen ist, dem aber beim spannenden Thema B2B-E-Commerce noch auf den Sprung geholfen werden muss – das könnte etwas werden.
Ziel für die ersten 100 Tage: Den derzeitigen Dealflow auf Zukunftsfähigkeit prüfen und notfalls einfrieren. Neue Kriterien für Investments definieren und die ersten digital, vielversprechenden Zukäufe tätigen.
8. Incentivierung
Sowohl bei neuen Beteiligungen als auch bei bestehenden Portfoliounternehmen hilft es nicht, eine digital value creation-Strategie zu definieren und die KPIs auf Digital zu schalten, wenn die Entlohnungsstruktur der damit befassten Menschen nicht entsprechend angepasst wird. Denn ein Manager, dessen persönliche Kompensationsstruktur davon abhängt, wie er Kosten spart und das Kerngeschäft stärkt, wird jede erfolgreiche Digitalisierung im Keim ersticken – ja, er wird förmlich dazu gezwungen. Vom Portfoliomanager bis hin zum Führungsteam sollten also erfolgsabhängige Bonuskomponenten der Entlohnung zum größten Teil von Erfolgen in der Digitalisierung bestimmt werden. (Die passenden KPIs dafür hat man ja bereits in Schritt 4 definiert.)
Ziel für die ersten 100 Tage: Verträge und Abmachungen mit Portfoliomanagern und operativ eingesetzten Personen auf Übereinstimmung mit den neuen digitalen Zielen prüfen und gegebenenfalls anpassen.
9. Private Equity vor Venture Capital
„Wie investiere ich richtig?“ ist eine der häufigsten Fragen, die sich Familienunternehmer stellen und zu deren Beantwortung sie Family Officers engagieren. Immobilien und Aktien sind zur Beimischung gesetzt. Beteiligungen an Start-ups waren in den vergangenen Jahren Mode, aber haben nur sehr selten die erhofften Ergebnisse und Erkenntnisse gebracht.
Private Equity sollte als Investment unbedingt in Betracht gezogen werden, da diese Assetklasse über Jahrzehnte hinweg andere outperformt. Im Sinne von „Trial and Error“ sollten dazu Fonds gesucht werden, in die investiert wird. So verringert sich die Komplexität, die Direktinvestments allein beziehungsweise in der Masse bringen würden und Profis übernehmen Auswahl und Steuerung. Clever ist es dann aber – um sich bestimmte Türen offen zu halten –, sich Co-Investment-Rechte zu sichern: So können Family Offices in Targets, die vom Fonds ausgewählt werden und die für die eigene Holding besondere Synergien bieten, selbst noch zusätzlich direkt investieren. Zudem lohnt es sich, auch Positionen in den Boards anzustreben, um effizient zu lernen und eigenes Know-how einzubringen. Win-Win.
Wer sich doch in Venture-Capital-Investments versuchen will, sollte eine ähnliche Strategie verfolgen: Statt selbst einen Topf mit Wagniskapital aufzusetzen und Geld an Start-ups zu verteilen, sollten Family Offices sich als Limited Partner an mehreren Funds beteiligen. In dieser Rolle können sie erste Learnings im VC-Umfeld machen, ohne sich direkt eine blutige Nase zu holen. Denn schon ein solches Engagement ermöglicht wertvolle Einblicke in die Startup-Welt und eröffnet den Zugang zu jungen digitalen Talenten, wenn man die richtigen Einsichtsrechte verhandelt. Wenn dann die Zeit reif ist, können Family Offices mit kleinen Mengen an Kapital direkte Investments tätigen, etwa um die eigene Innovations-Pipeline aufzubauen.
Ziel für die ersten 100 Tage: Beteiligungsmöglichkeiten bei Private-Equity-Funds ausloten und sich beteiligen.
10. Weiterentwicklung
Ganz abgesehen davon, in welchem Kontext: Wer gerade eine digitale Transformation angeht, stellt schnell fest, dass sie Unmengen an Fragen aufwirft und dabei unbändige Energie freisetzt. Sie erweckt überall in der Organisation ein neuer Wissensdurst – und diesem gilt es zu stillen. Schulungen, Trainings, Konferenzen – in und außer Haus und, ja, während der Arbeitszeit – werden notwendig und zeigen spürbare Ergebnisse. Damit macht man seine Mitarbeiter fitter und bindet sie ans Unternehmen. Regelmäßige Events, die auch für Partner oder Portfoliounternehmen zugänglich sind, stärken zudem das Netzwerk.
Wir bei Etribes halten zum Beispiel unseren monatlichen „E-Day“ ab, an dem ein ganzer Freitagnachmittag der Weiterbildung im weitesten Sinne gewidmet ist. Um offen zu sein: Die Organisation nimmt Ressourcen in Anspruch und der Kostenpunkt ist – alles in allem – nicht ganz unerheblich. Aber unsere Mitarbeiter – vorwiegend junge, digitale Talente – lieben das Format und lernen immer etwas Neues dabei.
Wer also ein Family Office digitalisieren will, sollte diesen Punkt genauso ernst nehmen, wie alle andere Themen. Zwar mag sich so etwas wie Mitarbeiterschulung zweitrangig anhören, wenn es doch vordergründig um den Dealflow gehen soll. Aber auf lange Sicht ist die Rolle von solchen Extras genauso entscheidend für den Fortbestand.
Ziel für die ersten 100 Tage: Ein Konzept für neue Weiterbildungs- und Weiterentwicklungsformate im Family Office entwickeln und als Chefsache vorantreiben.
Fazit
Mit diesen zehn Schritten können Family Offices in 100 Tagen relevante Fortschritte auf dem Weg der Transformation machen. Ja, es gibt viel zu tun. Aber die Chancen sind momentan gewaltig. Durch die Digitalisierung können erhebliche Werte freigelegt, Profitabilität erreicht und neue Geschäftsmodelle zügig und effizient implementiert werden. Ob Jacob Wilhelm Haniel in der beginnenden Industrialisierung, Wilhelm Schmitz mit Tengelmann in der Gründerzeit, oder Werner Otto in den Wirtschaftswunderjahren: Sich an die Stärke der Gründer von Familienunternehmen zu erinnern, die ebenfalls in einer Phase des wirtschaftlichen Umbruchs die Grundsteine der heutigen Werte legten, war noch nie so wichtig – und bot noch nie so relevante Einsichten – wie jetzt.
Über die Autoren:
Nils Seebach ist Digital-Unternehmer, -Stratege und -Innovator. Als Serien-(Co-)Gründer von drei Dutzend Unternehmen und Berater für digitale Strategien arbeitet der ehemalige Investmentbanker aktiv an der Digitalisierung Deutschlands. Heute ist er vor allem als Co-Geschäftsführer der Digitalberatung Etribes Group sowie als Aufsichtsrat und Beirat tätig.
Fabian J. Fischer ist Hamburger Unternehmer, Berater und Tech-Investor. Als Gründer und CEO der Etribes Group verantwortet er die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens und berät mittelständische Unternehmen und DAX-Konzerne bei der Transformation und Digitalisierung. Als Interims-Manager hat er bereits digitale Geschäftsmodelle für internationale Unternehmen wie Hapag-Lloyd konzipiert und aufgebaut. Zusätzlich fungiert Fischer als Advisor für Family Offices und Investment-Funds.