Nick Leeson „Ich war außer Kontrolle“

private banking magazin: Wie fühlt es sich an, eine altehrwürdige Bank in die Pleite zu treiben?

Nick Leeson: Es ist natürlich nicht etwas, worauf ich stolz bin – definitiv die peinlichste Zeit meines Lebens. Und leider auch die, für die man sich wohl ewig an mich erinnern wird, egal was ich vielleicht noch zustande bringen werde. Es ist schwer, das zu schultern. Aber ich muss lernen, damit zu leben. Und das kann ich jetzt ganz gut.

private banking magazin: Die ganze Geschichte begann mit dem Fehler einer Kollegin, der ein Minus von 20.000 Dollar verursachte. Sie versuchten durch Spekulation, dieses Minus wieder wettzumachen – und häuften immer mehr Miese an. Wieso haben Sie nicht viel früher die Notbremse gezogen?

Leeson: Diese Frage habe ich mir auch gestellt. Sehr, sehr oft sogar. Ich war zu der Zeit ein Getriebener. Ich wollte Erfolg haben und hatte gleichzeitig unheimliche Angst davor zu versagen. Diese Kombination trug wahrscheinlich dazu bei, dass ich so lange versucht habe, die Sache zu vertuschen. Ich wollte zumindest mit ein bisschen Glaubwürdigkeit wieder da herauskommen.

private banking magazin: Ordentlich Pech hatten Sie ja auch. Sie wetteten auf einen steigenden Nikkei, dann kam das Erdbeben in Kobe, und die Kurse brachen ein.

Leeson: Das Erdbeben war aber nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Verluste waren sehr schnell sehr groß geworden. Und ich hatte weder das Können noch die Systeme, um sie wieder auszugleichen. Ich wartete auf eine Serie an Na-geht-doch-Momenten. Aber die kamen nie. Ich war außer Kontrolle.

private banking magazin: Die Zeit im Gefängnis …

Leeson: … war hart. Die neun Monate im Frankfurter Gefängnis gingen noch. Das Rechtssystem in Deutschland ist fair, und die Anwälte und Richter waren immer darauf bedacht, mich gut zu behandeln. Im Gefängnis hatte ich immerhin ein Bett, einen Laptop und sogar einen Gameboy. Im Knast in Singapur war das anders. Da musste ich auf dem Boden schlafen, ich bekam nur drei Bücher pro Monat zu lesen und war 23 von 24 Stunden in der Zelle eingesperrt. Und dann denkst du die ganze Zeit nur darüber nach, was du hättest anders machen können, welche Fehler du gemacht hast. Das ist sehr deprimierend.

private banking magazin: Was haben Sie aus der ganzen Geschichte gelernt?

Leeson: Vieles. Aber zwei Sachen finde ich besonders wichtig. Ich würde jedem, der neu in die Branche einsteigt, raten, um Hilfe zu bitten. Ich habe das nicht getan. Dabei war ich umgeben von Leuten, die schon ähnliche Erfahrungen gesammelt hatten. Aber ich war 25 Jahre alt und dachte, ich komme mit allem klar. Die zweite Lehre ist, Dinge zu akzeptieren, die man nicht ändern kann.

private banking magazin: Hat die Industrie sich denn weiterentwickelt? Wenn man sich die Betrugsfälle um Jérôme Kerviel von Société Générale und Kweku Adoboli von UBS anschaut, kann man das doch getrost bezweifeln?

Leeson: Ja. Das liegt an der Kultur der Branche. Es geht darum, Geld zu machen. Viel Geld. Mehr Geld als der Kollege und mehr Geld als die Konkurrenz. Wir haben jetzt gerade eine Phase, in der die Banken die Bösen sind. Aber das wird sich wieder ändern. Sobald die Wirtschaft wieder anzieht und Banken dabei helfen, sie anzukurbeln und Geld zu verdienen, wird alles vergessen sein.

private banking magazin: Passen die Banken-Aufseher nicht gut genug auf?

Leeson: Sie versuchen, ein wachsameres Auge auf die Banken zu haben. Das Problem ist nur, dass die Industrie schnell, komplex und innovativ ist. Da können die Aufsichtsbehörden meiner Erfahrung nach nicht mithalten. Und jeder, der sich auf eine Aufsichtsbehörde, eine Zentralbank oder eine Regierung verlässt, wird sich die Finger verbrennen. Die Banken müssen selber dafür sorgen, dass ihre Kontrollsysteme funktionieren.

private banking magazin: Wie sieht das optimale Risikomanagement aus?

Leeson: Für mich besteht ein gutes Risikomanagement einerseits aus guter Technologie. Man braucht ein System, das sich ständig weiterentwickelt und hinterfragt, was in einer Bank passiert. Anomalien leitet es an Menschen weiter, die diese dann untersuchen. Oft ist es besser, wenn diese Leute außerhalb der Bank sitzen.

private banking magazin: Welche Rolle spielt der gesunde Menschenverstand?

Leeson: Eine ganz wichtige. In den drei Jahren, in denen ich in Singapur war, wurde ich nie wirklich geprüft. Die Leute haben einfach akzeptiert, was ich gemacht und gesagt habe. Diese Art der Bank-Betrugsfälle wird oft als verschlagen und komplex bezeichnet. Verschlagen? Das müssen andere entscheiden, ob das bei mir so war. Aber komplex war die ganze Sache nicht. Sie war sehr einfach. Die Zahlen gingen einfach nicht auf. Irgendeine Form des Hinterfragens hätte das gezeigt. Und das trifft glaube ich auf die Mehrheit der Betrugsfälle zu. Es gibt also nicht den einen richtigen Weg, aber vieles, was man machen kann. Ein Freund von mir, der eine Privatbank leitet, benutzt zum Beispiel meine Geschichte, um seinen Mitarbeitern einzuschärfen, dass es okay ist, Fehler zu machen. Dass man sie nur nicht verstecken darf.

private banking magazin: Wie steht es mit einer Rückkehr in die Branche?

Leeson: Ich glaube nicht, dass mich die Branche mit offenen Armen empfangen würde. Außerdem war ich ja nun nicht gerade sehr erfolgreich. Ich denke also nicht, dass ich jemals zurückkehren werde. Trotzdem kann ich den Job nur jedem empfehlen. Es gibt wohl nur sehr wenige Arbeitsplätze, die so viel Vielfalt und diesen einzigartigen Reiz bieten. 



Die Nick-Leeson-Story: Chronik einer Pleite

Nicholas „Nick“ Leeson wird am 25. Februar 1967 in Watford, Großbritannien, geboren. Nach dem frühen Tod der Mutter wächst er alleine beim Vater, einem Stuckateur, auf. Anfang der 80er bekommt Leeson einen Job bei der Bank Coutts. Eine Reihe weiterer Bank-Jobs folgt, bis Leeson 1989 schließlich bei Barings landet und 1993 als Derivate-Händler nach Singapur geht.

Weil er in Singapur gleichzeitig Händler und Kontrolleur der eigenen Handelsgeschäfte ist, kann Leeson ungeprüft spekulieren. Verluste verbucht er auf dem geheimen Konto 88888. Bis Dezember 1994 hat Leeson rund 392 Millionen Euro Schulden angehäuft. Der letzte verzweifelte Versuch, die Sache zu retten, scheitert, als nach dem Erdbeben in Kobe im Januar 1995 die Kurse am japanischen Aktienmarkt einbrechen. Leeson hatte auf eine Erholung des Nikkei gewettet.

Im Februar 1995 belaufen sich die Verluste auf fast eine Milliarde Euro. Zu viel für Barings, die Bank ist pleite. Leeson flieht, wird aber im März in Frankfurt gefasst. Fast neun Monate sitzt Leeson in einem deutschen Gefängnis, bevor er nach Singapur ausgeliefert und wegen Untreue und Betrugs verurteilt wird.

Während seiner Gefängnisstrafe schreibt Leeson seine Autobiorafie „Rogue Trader“. Im gleichnamigen Film spielt Ewan McGregor seine Rolle.

Nach einer Darmkrebserkrankung wird Leeson 1999 vorzeitig entlassen und lebt heute mit seiner zweiten Frau und drei Kindern in Galway, Irland.


Veranstaltungshinweis: Am kommenden Dienstag, dem 9. April tritt Nick Leeson um 10:30 Uhr auf dem private banking kongress in München auf. Sein Vortragsthema: Der Zusammenbruch der Barings Bank und Leesons Rolle darin. Weitere Informationen finden Sie hier

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